Ein Piepsen ließ Andreas Otto aufmerken. „Das hörte sich an wie von einem Spatzen“, erzählt der Küster der Marktkirche in Hannover, der gerade im Turm unterwegs war. Er ging dem Geräusch nach und wurde in knapp 70 Meter Höhe im Giebel auf der Südseite fündig. „Als ich durch die Lamellen nach draußen blickte, sah ich direkt vor mir vier Falkenbabys in ihrem Nest sitzen. Sie müssen frisch geschlüpft sein, denn sie waren noch ganz flauschig“, schwärmt der 60-Jährige. Anfang Juni war das. „Ich habe nur ein Video gemacht, weil ich sie nicht stören wollte, und mich dann schnell wieder zurückgezogen.“
Falken sind für Andreas Otto nicht neu. Auch von seinem heimischen Balkon gegenüber der Christuskirche in Hannover könne er Falken beobachten, erzählt der gelernte Zimmermann, der erst seit einigen Monaten an der Marktkirche arbeitet. „Mein Vorgänger hatte mich schon vorbereitet, dass auch bei uns jedes Jahr Falken brüten.“ Doch wegen der Baumaßnahmen am Turm und der damit verbundenen Unruhe sei ihre Rückkehr in diesem Jahr zunächst unsicher gewesen.
Kindererziehung im Baustellenlärm
Während ein Vogelkundler vermutete, dass die Falken klug genug seien, eine lärmende Baustelle zu vermeiden, und auf ein anderes hohes Gebäude der hannoverschen Innenstadt umziehen würden, sahen die Vögel das offenbar anders.
Auf Rat eines Sachverständigen des NABU wurden die oberen Gerüstetagen am Südgiebel für einige Wochen gesperrt, um der jungen Vogelfamilie Ruhe zu geben. Diese sei mit vier Jungen überdurchschnittlich groß, sagt Otto „Trotzdem brauchen die Tiere keine besondere Pflege. Besser, man lässt sie in Ruhe. Die kriegen das alleine hin.“ Mittlerweile seien die Jungen flügge, und man könne ihnen zusehen, während sie um den Turm herumfliegen. „Leider ist bereits ein Junges gestorben.“
200 Gemeinden beteiligen sich an der Aktion “Lebensraum Kirche”
Die Marktkirche ist nicht die einzige Kirche, in deren Turm Vögel nisten – im Gegenteil: Allein in Niedersachsen nehmen schon rund 200 Kirchen an der Aktion „Lebensraum Kirchturm“ des NABU teil, bei der Kirchen, die bestimmte Kriterien erfüllen, mit einer Plakette ausgezeichnet werden.
Dabei müssen beteiligte Gemeinden beispielsweise Nistplätze und Ruhe für Turmfalken, Dohlen, Schleiereulen oder Fledermäuse schaffen. Zusätzlich muss geklärt werden, ob es Konflikte mit anderen Tierarten gibt und die Beleuchtung passend ist. Hilfestellung gibt es bei vielen NABU-Ortsgruppen.
Marktkirche Hannover will ein Kamera aufstellen
Bisher können die jährlich wiederkehrenden Falken der Marktkirche bei der Aufzucht ihrer Jungen nicht beobachtet werden. Aber das soll sich ändern. „Wir überlegen, eine Kamera zu installieren, solange das Baugerüst steht“, sagt der Küster.
Noch lieber als Falken, die einen unangenehmen Schreiton ausstoßen, wenn sie ausgewachsen sind, mag Andreas Otto einen anderen Vogel. „Ich habe eine Amsel-Freundin, die mich immer auf meinem Balkon besucht“, erzählt der Vogelfan. „Sie kommt zu mir hergeflogen und ist so zutraulich, dass sie sich immer direkt auf einen Sims über mir setzt.“
