Aus dem 1946 eröffneten Notaufnahmelager Gießen ist ein Lern- und Erinnerungsort geworden, der an Hunderttausende Menschen erinnern soll, die aus der DDR und anderen osteuropäischen Staaten nach Westdeutschland geflohen sind. In der neuen Gedenkstätte „begegnen wir einem Kapitel Nachkriegsgeschichte, das vielen gar nicht mehr präsent ist“, sagte der frühere Bundespräsident Joachim Gauck einer Mitteilung der Hessischen Landesregierung zufolge am Dienstag bei der Eröffnung. Diese Nachkriegsgeschichte gelte es für die jüngeren und nachfolgenden Generationen zu bewahren. Sie erinnere an Flucht, Vertreibung und Neuanfang.
Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) bezeichnete die Gedenkstätte als „Leuchtturm, der weit über Hessen hinausstrahlt“. Das ehemalige Notaufnahmelager könne sowohl Diktaturerfahrung als auch positive Demokratiegeschichte vermitteln. Heimatvertriebene, DDR-Flüchtlinge und auch Asylsuchende hätten hier die ersten Schritte eines Lebens in Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gemacht.
Hessens Bildungsminister Armin Schwarz (CDU) verwies in Gießen auf den 17. Juni 1953, den Jahrestag des Volksaufstands in der DDR. Bis zu seiner Verschiebung auf den 3. Oktober im Jahr 1990 war der 17. Juni als Tag der Deutschen Einheit in der Bundesrepublik ein Nationalfeiertag. Dass der neue Lern- und Erinnerungsort an diesem Tag eröffnet wurde, „hätte nicht besser gewählt werden können“, sagte Schwarz. In der Gedenkstätte solle es „lebendige Erinnerungsarbeit und Demokratievermittlung geben und einen starken Fokus auf Zeitzeugen“. Auf dem rund 1.500 Quadratmeter großen Gelände sind auch Führungen, Workshops und interaktive Angebote geplant.
Das Notaufnahmelager Gießen war laut Mitteilung von 1946 bis 1989 eine zentrale Anlaufstelle für fast eine Million Menschen. Von 1993 bis 2018 wurde das Gelände als Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen für Asylsuchende genutzt. In die Gedenkstätte wurden 6,8 Millionen Euro investiert. Das Land übernahm davon rund fünf Millionen Euro, den Rest bezahlte der Bund.