Die Sonne brennt noch vom Himmel, Jogger drehen ihre Runden um den Aasee in Münster. Von einem Lokal in Ufernähe dringt lautes Lachen bis ans Wasser. Männer und Frauen im mittleren Alter genießen an einem langgezogenen Tisch kühles Bier und ein gemeinsames Abendessen. Die Gruppe trifft sich nicht zufällig: Es ist ein „Sundowner-Meeting“, zu dem sich die Teilnehmer bei der App „Meet5“ angemeldet haben. „Inzwischen gibt es dieses Treffen seit rund zwei Jahren“, sagt Mario Loebel, der das Treffen mitorganisiert hat. Viele kennen sich, aber es kommen immer wieder andere dazu. Ziel ist es, gemeinsam einen netten Abend zu verbringen, Bekanntschaften zu schließen und „neue Leute“ kennenzulernen.
Es liegt inzwischen auch bei der älteren Generation im Trend, neue Bekanntschaften oder sogar Freundschaften auf digitalem Wege zu schließen. „Apps können eine gute technische Hilfe sein, um neue Menschen kennenzulernen und Bekannte zu finden“, sagt der Berliner Psychologe und Buchautor Wolfgang Krüger zum „Internationalen Tag der Freundschaft“ (30. Juli). Sie ersetzten aber das persönliche Kennenlernen nicht: „Das muss folgen, damit richtige Freundschaften entstehen.“
Kennenlernen über Apps wie „Spontacts“, „Gemeinsam erleben“ oder „Meet5“
Bei Apps wie „Spontacts“, „Gemeinsam erleben“ oder eben „Meet5“ ist das der Fall, alle Konzepte ähneln einander: Interessierte melden sich per App online an und treffen sich dann, um in einer Kneipe zu plaudern, wandern zu gehen, das Kino zu besuchen oder Tischtennis zu spielen. „Meet5“ („Triff fünf“) heißt so, weil bei vielen Treffen sechs Menschen zusammen kommen und man dadurch „fünf neue Leute“ trifft.
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Der Frankfurter Lukas Reinhardt hat die App zusammen mit zwei Freunden 2017 gegründet. Der heute 31-Jährige wollte eigentlich eine App für Studierende ins Leben rufen – aber diese Zielgruppe nutzt offenbar andere Wege, um Freunde zu finden. „Heute sind meisten Nutzer deutlich älter“, sagt Reinhardt. Die App richte sich an „Menschen im mittleren Alter, die mit beiden Beinen im Leben“ stehen. Viele sind über 50 oder 60 Jahre alt.
Viele Nutzer der App stehen vor neuen Lebensabschnitten
Für den Psychologen Krüger ist das kein Wunder. Die meisten Freundschaften entstehen in jüngeren Jahren, in der Schule, an der Uni oder in der Ausbildung, wie er erklärt. Danach sind die Menschen mit beruflicher Fortbildung oder der Gründung einer Familie beschäftigt. In späteren Lebensphasen ist es für ältere Menschen oft schwierig, neue Freundschaften zu schließen.
Viele Nutzer der App stehen vor neuen Lebensabschnitten: „Die Kinder sind aus dem Haus, die Rente ist nicht mehr weit oder Trennungen spielen dabei eine Rolle“, sagt Reinhardt.
Wie funktioniert die App „Meet5“?
Auch Mario Loebel, 65 Jahre alt, war frisch getrennt, als er sich die „Meet5“-App heruntergeladen hat: Er meldete sich regelmäßig zu Restaurantbesuchen, Tanzabenden oder Wanderungen an, lernte viele Leute kennen – und hat inzwischen eine neue Partnerin gefunden. Dabei ist „Meet5“ eigentlich keine Dating-App. Es geht um gemeinsame Unternehmungen: Jeder Nutzer kann selbst Treffen erstellen – zum Joggen, Radfahren, Wandern, zu Theaterbesuchen, Abendessen oder Pool-Billard.
Rund 70 Prozent der Nutzer und Nutzerinnen sind Singles. „Den Hintergedanken, dass man doch den neuen Partner treffen könnte, haben alle, die nicht alleine bleiben wollen“, ist die Münsteranerin Tina Wahl, 56 Jahre, überzeugt. Sie hat sich nach einer Trennung angemeldet, weil sie ihre Freizeit nicht ständig mit befreundeten Paaren verbringen wollte. Ihren neuen Partner hat sie bereits beim ersten Treffen kennengelernt, es hat schnell gefunkt. Beide sind aber regelmäßig weiter beim „Sundowner“ dabei.
Der frühere Heizungsmonteur und heutige Rentner Klaus Bazaneck aus Münster, 65 Jahre alt, hat durch die App eine neue Leidenschaft entdeckt: Er stellt regelmäßig große Treffen für Partys, Tanzabende, Ausflüge und sogar mehrtägige Reisen ein. „Ich war schon mit Meet5-Treffen in Kopenhagen und auf Sylt“, erzählt er.
Psychologe: Tiefere Bindungen entstehen erst nach einiger Zeit
Andere legen einen sportlichen Schwerpunkt: An einem Seitenarm des Dortmund-Ems-Kanals in Münster pumpen sommerlich bekleidete Männer und Frauen ihre SUP-Boards (Stand-up-Paddeling) auf. Einige haben sich eine elektrische Pumpe von Roger Pilk geliehen. Er ist der Ersteller dieses Treffens – mit nacktem Oberkörper in Shorts und Badelatschen leitet er die Gruppe an. „Bei dem Wetter treffen wir uns hier jede Woche“, erzählt er. Die Treffen für zwölf Leute seien in der Regel sofort voll. Die App nutzt er seit mehr als einem Jahr – auch für andere Zusammenkünfte wie gemeinsame Essen oder Konzertbesuche. „Da habe ich echte Freunde gefunden“, erzählt er.
Solche tieferen Bindungen entstehen aber nach Ansicht des Psychologen Krüger erst nach einiger Zeit: „Ich muss viele Menschen treffen, bevor jemand dabei ist, den ich sympathisch finde, der mich interessiert, damit dann daraus wirklich Freundschaft entsteht.“ Rein digital geht das nicht: „Man muss sich sehen, man muss sich in die Augen schauen und den anderen fast leibhaftig spüren, damit eine soziale Schwingung entsteht.“