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Filmfestival in San Sebastian – Hauptpreis für kontroverse Doku

Es geht um den Stierkampf: Die “Goldene Muschel” gewinnt in San Sebastian ein Dokumentarfilm über dieses blutige Spektakel. Weitere Preise und Auszeichnungen im Überblick.

Mit dem kontroversen Dokumentarfilm “Tardes de soledad” hat Albert Serra die “Goldene Muschel” beim 72. Filmfestival im spanischen San Sebastian gewonnen. Darin wird das blutige Handwerk des Stierkämpfers Andres Roca Rey aus nächster Nähe beobachtet. Ungewöhnlich viele Filme kreisten um das Sterben und den Tod. Der Signis-Preis ging an “Los destellos” von Pilar Palomero.

Bis Samstag standen 16 Filme im Wettbewerb, darunter auch neue Werke von dem Veteranen des politischen Thrillers, Costa-Gavras, und dem deutschen Regisseur Edward Berger, dessen Vatikan-Thriller “Konklave” mit wohlwollendem Applaus aufgenommen wurde.

Der spanische Regisseur Pedro Almodovar erhielt den Preis der Stadt San Sebastian für sein Lebenswerk. Aus diesem Anlass wurde sein jüngster Film gezeigt, das Sterbehilfedrama “The Room Next Door”, das in Venedig mit dem “Goldenen Löwen” ausgezeichnet wurde. “Mein Film erzählt von einer sterbenden Frau in einer sterbenden Welt. Ich bin überrascht, wie viele Filme hier in San Sebastian von Tod und Empathie handeln”, sagte der 75 Jahre alte Filmemacher bei der Preisgala.

Dazu gehörte auch “Le dernier souffle” von Costa-Gavras über einen engagierten Palliativ-Mediziner, der viele Patientinnen und Patienten auf ihrem letzten Weg begleitet. Der lebensbejahende Film ging bei den Preisen allerdings leer aus.

Dafür votierte die katholische Signis-Jury für den spanischen Film “Los destellos” von Pilar Palomero, die anrührend und eindringlich von einer Versöhnung über dem Sterbebett erzählt. Ramon (Antonio de la Torre) ist am Ende seines Lebens angekommen; er ist unheilbar krank und wird bald sterben. Seine Tochter Madalen (Marina Guerola) stellt alles zurück, um ihn in den letzten Tagen seines Lebens zu unterstützen. Sie überzeugt sogar ihre Mutter Isabel (Patricia Lopez Arnaiz), ihr bei der Betreuung ihres Ex-Manns zu helfen.

Über der Pflege des Todkranken findet eine Wiederannäherung und vielleicht sogar ein gegenseitiges Vergeben zwischen den getrennten Eheleuten statt. All das erzählt Palomero ohne Melodramatik. Sie hat den baskischen Schauplatz der literarischen Vorlage in ihr Heimatdorf in Aragonien verlegt und gibt der Geschichte von Sterben und Empathie mit beeindruckenden Bildern einen bukolischen Rahmen.

Auch der chinesische Debütfilm “Bound in Heaven” der Regisseurin Huo Xin erzählt von Liebe und Tod, von letzten Fahrten und Irrfahrten einer jungen Frau und eines jungen Mannes durch China, von prekären Lebensverhältnissen, Abhängigkeit und Befreiung. Die dichte Atmosphäre, die Leichtigkeit und auch die Tragik des Films wurden für die beste Bildgestaltung und mit dem Fipresci-Preis der Internationalen Filmkritik ausgezeichnet.

In “On Falling” setzt sich die 29 Jahre alte portugiesische Filmemacherin Laura Carreira mit einer anderen harten sozialen Wirklichkeit auseinander. Unsentimental und eindringlich inszeniert sie die Einsamkeit und die Entfremdung einer jungen Arbeiterin, die Tag für Tag in einem riesigen Logistikzentrum in Schottland unter schwierigsten Bedingungen schuftet. Sie teilt sich die Auszeichnung für die beste Regie mit dem Spanier Pedro Martin-Calero und seinen Horrorfilm “El Llanto”, bei dem das Gespenst eines alten Mannes die Frauen verschiedener Generationen einer Familie umbringt.

Francois Ozon erzählt in “Quand vient l’automne” fast heiter von Alter, Familie, Liebe und Tod, wofür er den Preis für das beste Drehbuch erhielt. Eine ähnliche Subtilität zeigt auch der Film “Bagger Drama” von Piet Baumgartner, der als bester Nachwuchsfilm geehrt wurde. Mit vielen Zwischentönen und immer nahe am Protagonisten erzählt der Schweizer Regisseur von der Selbstzerstörung einer Familie, die über den Unfalltod der jüngsten Tochter nicht hinwegkommt.

Auch der Gewinner der “Goldenen Muschel”, des Hauptpreises, handelt vom Sterben, wenn auch auf ganz andere Weise. “Tardes de soledad” von Albert Serra erzählt vom “Tod am Nachmittag”. Der provokative katalanische Regisseur widmet sich in seinem ersten Dokumentarfilm dem Stierkampf. Der mit zahlreichen Kameras gedrehte Film folgt hautnah dem jungen Torero Andres Roca Rey und den Stieren, seinen Mitkämpfern und den Pferden. Serra zeigt die Corrida als tanzartig-brutale Bewegung zwischen Blut, Matsch, Sand und dem Speichel und den Schreien des wütenden Stieres. Es gibt viele nächtliche Busfahrten und die immer wiederkehrenden Worte und Abläufe. Eine Routine und Monotonie, die die Absurdität und Sinnlosigkeit des Spektakels erahnen lassen.

In seiner beklemmenden künstlerischen Umsetzung ist “Tardes de soledad” ein höchst kontroverser Film. Den Tierschützern fehlt die deutliche Distanzierung von dem blutigen Geschehen, die Freunde des Stierkampfes vermissen bei den bedrückenden Nahaufnahmen von Kampf, Blut und Wunden den Glamour des Spektakels in der Arena. Es gäbe, so Albert Serra bei der Preisverleihung, in einer komplexen Welt immer mehr Themen, bei denen man nicht nur einfach Ja oder Nein sagen könne.