Straftaten und Gewalt gegen Frauen haben im vergangenen Jahr zugenommen. Wie aus dem am Dienstag in Berlin vorgestellten ersten Lagebild des Bundeskriminalamts (BKA) zu gegen Frauen gerichteten Straftaten hervorgeht, sind in nahezu allen Deliktbereichen deutliche Anstiege zu verzeichnen. So wurden 2023 mehr als 52.000 Frauen oder Mädchen Opfer von Sexualstraftaten wie Vergewaltigung, sexueller Belästigung und Nötigung. Das waren rund 3.000 beziehungsweise 6,2 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Mehr als die Hälfte der Opfer waren jünger als 18 Jahre, wie BKA-Vizepräsident Michael Kretschmer sagte. Im Bereich häusliche Gewalt wurden mehr als 180.000 weibliche Opfer gezählt, ein Plus von 5,6 Prozent. 938 Mädchen und Frauen wurden Opfer von Tötungsversuchen, 360 von ihnen starben. Damit habe es fast jeden Tag einen Femizid gegeben, sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Das Lagebild zeige, wie alltäglich Gewalt gegen Frauen sei, sagte Familienministerin Lisa Paus (Grüne).
Besonders stark war dem Lagebild zufolge im vergangenen Jahr der Anstieg bei gegen Frauen gerichteter digitaler Gewalt. 17.193 Opfer wurden 2023 registriert, 25 Prozent mehr als im Jahr davor. Mehr als 62 Prozent der Opfer digitaler Gewalt sind der Statistik zufolge weiblich. Die überwiegende Mehrzahl der Straftaten in diesem Bereich sind Nötigungen, Bedrohungen und Stalking. Bei minderjährigen Opfern geht es bei digitaler Gewalt mehrheitlich um Missbrauchsstraftaten.
Stark gestiegen ist 2023 dem Bundeskriminalamt zufolge auch die Zahl sogenannter Hasskriminalität gegen Frauen. Gemeint sind damit Straftaten, die dezidiert frauenfeindlich motiviert sind. 322 solcher Taten wurden im vergangenen Jahr registriert. Das waren 56,3 Prozent mehr als 2022. In 29 dieser Fälle ging es 2023 um Gewaltstraftaten – eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr.
Paus und Faeser hatten für diese Wahlperiode Gesetze zum besseren Schutz von Frauen vor Gewalttätern geplant. Nach dem vorzeitigen Aus der Ampel-Koalition ist nun offen, ob sie kommen. Die Familienministerin gab sich am Dienstag entschlossen, ihr Gesetz für den Ausbau von Hilfs- und Beratungsstellen noch bis zur absehbaren Neuwahl des Bundestags durchsetzen. Sie hofft nach eigenen Worten auf Unterstützung von der Union, um im Bundestag eine Mehrheit für das Gesetz zu bekommen. In der kommenden Woche werde das Kabinett das Gesetz beraten, sagte Paus.
Das „Gesetz für ein verlässliches Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt“ sieht einen Anspruch für Frauen, die Opfer von Gewalt werden, auf Hilfe und Beratung vor. Dazu müssen bisherige Angebote ausgebaut werden. Paus zufolge gibt es bundesweit rund 350 Frauenhäuser, 100 Schutzwohnungen und 600 Beratungsstellen. Das reiche nicht aus, sagte sie. Wichtiger Bestandteil des Gesetzes sei, dass der Bund in die Finanzierung der Strukturen einsteige, sagte Paus. In einem am Dienstag veröffentlichten Video forderten 22 Prominente die Bundesregierung auf, die Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen zu verbessern.
Innenministerin Faeser plante indes ein Gewaltschutzgesetz, das verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings für Gewalttäter und Fußfesseln für die Durchsetzung von Kontaktverboten vorsehen sollte. Für beides warb Faeser am Dienstag erneut. Ob es dafür in den nächsten Monaten noch konkrete Regelungen gibt, ist aber offen.