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Fachleute: Hohes Stresserleben nicht allein mit Arbeit erklärbar

Erschöpfung, Überforderung, Resignation – viele Menschen fühlen sich stark belastet. Fachleute mahnen, die Ursachen nicht allein in der Arbeitswelt zu suchen. Zudem laufe manches sogar besser als vermutet.

Die Arbeit kann für massiven Stress sorgen, aber auch Halt geben und zur Zufriedenheit beitragen: Darauf weist der Psychotherapeut Martin Teufel hin. Die Debatte um hohe psychische Belastung kreise mitunter allzu sehr um Arbeitszusammenhänge, sagte er am Mittwoch in Berlin. Dabei trügen auch andere Entwicklungen dazu bei, dass Menschen zunehmend das Gefühl hätten, dass die Dinge aus den Fugen gerieten.

Teufel ist Präsident des Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, der ab dem 13. März in Berlin stattfindet. Der Kongress steht unter dem Motto “Voll-Kraft-Los. Psyche und Körper in beschleunigten Zeiten”. Beschleunigung mache vielen Menschen zu schaffen, so Teufel, aber ebenso die Krisen, auf die Einzelne kaum Einfluss hätten, etwa der Klimawandel oder “Kriegsereignisse, die teilweise sehr nah sind”. Bei diesen gesellschaftlichen Konflikten gelte es zu lernen, mit Hilflosigkeit umzugehen.

Unternehmen riet der Experte, nicht allein eine reduzierte Arbeitszeit in den Blick zu nehmen. Vorrangig klagten Menschen über Zeitdruck, ständige Erreichbarkeit, das Fehlen von Ruhepausen oder das Gefühl, wenig gestalten zu können: “Sich ohnmächtig ausgeliefert zu fühlen, ist das größte Problem.”

Derweil ist die Versorgungslage laut einer Umfrage besser als oft vermutet. 2.200 von insgesamt über 32.000 Befragten gaben demnach an, dass sie zwischen 2012 und 2020 nach psychologischer Unterstützung gesucht hätten – und 90 Prozent von ihnen waren mit der durchschnittlichen Wartezeit von rund drei Monaten zufrieden. Dies liege auch daran, dass sich die Wartezeit auf einen Therapieplatz oftmals überbrücken lasse, etwa mit einem Erstgespräch oder mit sogenannten Akuttherapiesitzungen. Deutschland sei mit rund 39.000 niedergelassenen Psychotherapeutinnen und -therapeuten “gut aufgestellt”, sagte Studienleiter Johannes Kruse.

Allerdings gebe es ein Gefälle zwischen Stadt und Land, ebenso sei die Versorgung regional unterschiedlich. Etwa zehn bis 15 Prozent der Suchenden scheitern im Bemühen um einen Therapieplatz, so Kruse. Besonders gefährdet seien zudem Menschen, die neben einer psychischen von chronischen körperlichen Krankheiten betroffen seien, etwa Herzerkrankungen, Diabetes oder Asthma. Wichtig sei, diese besonders verletzlichen Gruppen künftig gezielter zu erreichen, mahnte der Professor für Psychosomatik.