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EU-Gentechnik-Einigung – Verbraucherschutz gegen Wissenschaft

Die EU hat sich auf eine Lockerung bei sogenannten NGT1-Pflanzen geeinigt. Unter anderem soll die Kennzeichnung im Handel entfallen. Verbraucherschützer fürchten Käufertäuschung; die Wissenschaft argumentiert anders.

Die EU-Einigung für eine Deregulierung für Pflanzen aus neuen gentechnischen Verfahren (NGT) wird von Wissenschaftlern und Verbraucherschützern unterschiedlich bewertet. Durch den Wegfall der Kennzeichnungspflicht für bestimmte Lebensmittel werde die Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher beim Lebensmittelkauf im Supermarkt praktisch aufgehoben, kritisiert Foodwatch am Donnerstag. Agrarforscher heben hingegen den Nutzen für eine widerstandsfähigere Land- und Ernährungswirtschaft hervor.

Die EU-Kommission plant seit 2023 eine weitergehende Deregulierung von Pflanzen aus NGT-Prozessen. Am Mittwochabend hatten sich EU-Parlament, Rat und Kommission im sogenannten Trilogverfahren auf einen Kompromiss geeinigt. Demnach werden einfache genom-editierte Pflanzen (NGT1) künftig herkömmlichen Pflanzen weitestgehend gleichgestellt. Unter anderem soll die verpflichtende Kennzeichnung im Handel wegfallen. Gleichzeitig wurden die Kriterien für NGT1-Pflanzen strikter gefasst. Der Kompromiss muss nun noch durch Mitgliedstaaten und Parlament bestätigt werden.

“Mehr als 90 Prozent der Menschen wünschen sich eine klare Kennzeichnung von Gentechnik – die soll es jetzt nicht mehr geben”, erklärt Foodwatch-Geschäftsführer Chris Methmann auf Anfrage. “Egal ob ‘alte’ oder ‘neue’ Gentechnik: Verbraucher:innen müssen im Supermarkt selbst entscheiden können, ob sie mithilfe von Gentechnik erzeugte Lebensmittel kaufen wollen oder nicht.” Die jetzt erzielte Einigung “ist ein weiteres Geschenk an die mächtige Agrarlobby – auf Kosten von uns allen”.

Anders bewertet der Bonner Agrarökonom Matin Qaim den Beschluss. Eine Abgrenzung beider Produkte ist aus seiner Sicht von vornherein nicht sinnvoll, da die mit NGT1 entwickelten Mutationen “in identischer Form auch natürlich hätten entstehen oder durch konventionelle Techniken hätten erzeugt werden können”. Die genomischen Züchtungen seien “eine der Schlüsseltechnologien, um die Landwirtschaft nachhaltiger und klimaangepasster zu machen”.

Gleichzeitig weist Qaim darauf hin, dass es gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern einer klaren Kommunikation bedürfe, die deutlich macht, dass NGT1-Pflanzen genauso sicher sind, wie herkömmlich gezüchtete. “Ich bin zuversichtlich, dass Verbraucher dann nicht nur Vertrauen entwickeln, sondern den Beitrag der Technologie zur nachhaltigeren Landwirtschaft auch zu schätzen wissen”, so der Forscher.

Die Tübinger Ökologin Katja Tielbörger kritisiert hingegen, dass die Deregulierung alle Pflanzenarten gleichsam erfassen soll – nach ihren Schätzungen 300.000 bis 500.000 Arten. “In einer Zeit des massenhaften Artensterbens stellt dies die genetische Integrität aller Pflanzenarten zur Disposition und gefährdet die Biodiversität.”

Zudem gingen die Vorteile von genomisch veränderten Pflanzen, wie etwa eine höhere Dürreresistenz, zu Lasten anderer Eigenschaften. Monokulturen einer Sorte seien dem Klimawandel aber schutzloser ausgeliefert als ein Mischanbau auf den Feldern. “Diese Strategie ist sofort umsetzbar, macht Landwirtschaft resistenter gegen Klimawandel und Schädlinge, reduziert Umweltauswirkungen durch Pestizide und Düngung, und sorgt für Ertragsstabilität”, erklärt Tielbörger.