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Es lebt “die Hoffnung auf einen Neuanfang”

Im Advent und an Weihnachten sind Inhaftierte besonders mit ihrer Isolation und Einsamkeit konfrontiert, während viele Menschen die festliche Zeit im Kreis der Familie verbringen. Nicht bei den Angehörigen sein zu können, sei schmerzhaft, sagt Pfarrer Frank Illgen, evangelischer Gefängnisseelsorger der Justizvollzugsanstalt Kassel I.

epd: Herr Illgen, welche Herausforderungen erleben Sie als Gefängnisseelsorger während der Weihnachtszeit, in der die Insassen die Last ihrer Situation besonders spüren?

Frank Illgen: Die „Last“ erlebe ich wesentlich als den Schmerz der Trennung und der Unmöglichkeit, da sein zu können, wo man gern wäre. Damit haben sich Inhaftierte unterschiedlich arrangiert: Die einen ziehen sich zurück, die anderen suchen und nutzen die hausinternen Möglichkeiten und gestalten diese Zeit zum Beispiel musikalisch oder organisatorisch mit.

epd: Der Advent ist mit Hoffnung verbunden. Suchen Inhaftierte das Gespräch mit Ihnen, weil sie Weihnachten ohne Familie verbringen müssen, und welche Hoffnungen kommen zum Ausdruck?

Illgen: Die größte Hoffnung und der sehnlichste Wunsch, die geäußert werden, lauten: wieder in Freiheit mit den Angehörigen zu feiern, wie man es gewohnt ist. Verschiedentlich werden Weihnachtskarten, Telefonate und Gespräche nachgefragt, um die Trennung zu überbrücken. Die Angebote der Seelsorge werden auch als eine „Ersatzfamilie“ für die vertrauten Verwandten und Bekannten wahrgenommen, mit denen man sonst Gemeinschaft und Rituale pflegt.

epd: Einige Insassen bekommen in diesen Wochen vielleicht mehr Post als sonst, andere haben keine sozialen Kontakte. Welche Hilfestellungen können Sie geben, mit Gefühlen von Einsamkeit, Traurigkeit und Angst umzugehen?

Illgen: Seit Covid ist die Telefonzeit erheblich verlängert worden, sodass das früher begrenzte Kommunikationsbedürfnis, wenigstens „frohe Weihnachten“ zu wünschen, deutlich weniger über das Telefon der Seelsorge nachgefragt wird. Alle Veranstaltungen im Advent stellen den Versuch dar, etwas von der „frohen Botschaft“ zu allen zu tragen oder zu denen, die sie hören wollen. Materielle Gaben versuchen den Mangel nicht nur materiell zu kompensieren. Opfer- oder Teelichter, die zu hohen Feiertagen ausgegeben werden dürfen, werden ob des wärmenden Lichtes in der Einsamkeit einer Zelle gern in Empfang genommen. Spenden von Gebäck oder zulässigen Genussartikeln versuchen Neuinhaftierten, Gefangenen ohne Unterstützung von draußen oder ohne Arbeit eine Freude zu bereiten.

epd: Welche Rolle spielen seelsorgerische Gespräche?

Illgen: Mitunter entlasten Gespräche, oder es bereiten weihnachtliche Verteilschriften und Karten symbolische Freude. Die Gruppenangebote sind der organisierte Versuch, der Einsamkeit und Isolation im Haftraum entgegenzuwirken. Während der Einschränkungen der Pandemie war die Untersagung von Gemeinschaftsveranstaltungen die am meisten beklagte Einschränkung.

epd: Gerade zu ihren Kindern haben Inhaftierte wenig Kontaktmöglichkeiten: Wie kann in dieser schwierigen Zeit eine Brücke zu ihnen gebaut werden?

Illgen: Seit zwölf Jahren veranstalte ich zweimal im Jahr einen „Vater-Kind-Spiele-Nachmittag“ in der Sporthalle der JVA, zuletzt im November. Dies ist der Versuch, Vätern und ihren Kindern mehr Raum und Zeit spielerisch für- und miteinander als sonst üblich zu ermöglichen. Mein katholischer Kollege beteiligt sich seit Jahren an den „Nikolausgrüßen“. Regulärer Besuch ist am 24. Dezember in der Hauptanstalt möglich, wie auch am zweiten Weihnachtsfeiertag und an Silvester.

epd: Welche Rolle spielt der Glaube an Gott? Haben Andachten im Advent einen besonderen Stellenwert?

Illgen: Der Glaube an Gott, adventlich-weihnachtliche Bräuche und Traditionen werden drinnen wie draußen miteinander verknüpft und verbunden gelebt. Im Rahmen der im Haus üblichen und möglichen Feste und Feiern werden diese Veranstaltungen gern wahrgenommen und wertgeschätzt und stellen eine Besonderheit im jährlichen Gesamtgefüge dar. Seitens der Seelsorge betonen wir den christlichen Ursprung des Festes. Wir verkennen dabei nicht, dass es Menschen gibt, die diesem Ursprung und diesen Bräuchen sich aus den unterschiedlichsten Gründen gleichgültig oder auch ablehnend gegenüber verhalten.

epd: Ist in diesen Tagen etwas von der Weihnachtsbotschaft zu spüren, die von Hoffnung, Frieden und Versöhnung erzählt?

Illgen: Die Erinnerung der Geburt Jesu, die Hoffnung auf einen Neuanfang, ein neues Jahr und eine neue Zeit werden gern gepflegt. Die Verkündung der Botschaft „Euch ist der Heiland geboren und Friede auf Erden“ wird jedes Jahr aktualisiert gern gehört und auch weitergeben, zum Beispiel durch persönliche Grüße und Wünsche beim Sich-Begegnen auf dem Flur.