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„Ersetzungstheologie“ der Nachkriegszeit

UK 17/2016, „Die Bibel lesen“ (Seite 3)
Der Autor legt den Korintherbrief  aus und lehrt uns eine Nachkriegs-Substitutionstheologie: „Die heiden-christliche Kirche ersetzt Israel“. Er  schreibt: Paulus habe in Korinth bei den Judenchristen Aquila und Priscilla gewohnt. Diese beiden seien aus Rom gekommen, weil Kaiser Claudius die Christen verfolgte. Falsch! In der Apostelgeschichte und bei Sueton wird berichtet, dass Claudius die Juden aus Rom verwies, nicht die Christen. Sueton schreibt als Grund: „weil sie sich untereinander heftig stritten wegen Christus“. Die Jesus-Kontroverse, eine inner-jüdische Angelegenheit in Rom. Kein Wort davon, dass das Evangelium nun endlich zur heidenchristlichen Weltkirche durchgedrungen sei. Also: Das jüdische Ehepaar, das an Jesus, den Messias glaubte, gibt Paulus in Korinth Wohnung.
Der Autor schreibt weiter, Paulus habe dann nach seiner Gewohnheit den Kontakt zu den gottesfürchtigen Heiden geknüpft, die sich zur Synagoge in Korinth hielten. Falsch! Paulus predigte immer inmitten der Synagogen. Paulus war Pharisäer und damit anerkannter Bibelausleger. Als charismatischer Prediger hörten alle Juden in Korinth diesen Gast Paulus gerne. Als Paulus dann Jesus als den Messias bezeugt, werden außer einigen Juden auch etliche gottesfürchtige Heiden angesprochen, die sich zur Mitte der Synagoge halten. Das ergibt sich so, ist aber nicht das Ziel von Paulus. Er will keine nicht-jüdische „Gemeinde“ gründen.
Der Autor schreibt auch von einem aufsehenerregenden Bruch mit der jüdischen Kolonie. Falsch! Er bezieht sich dabei auf die Apostelgeschichte des Lukas, der Jahrzehnte nach den Ereignissen schreibt. Lukas erzählt, dass der Synagogenvorsteher zum Glauben an den Messias Jesus kommt. Dann erzählt er, dass „die Juden widerstrebten und lästerten“. Wiederum wie in Rom eine inner-jüdische Angelegenheit. Streit unter Juden um den Messias, kein Bruch der heiden-christlichen Weltkirche mit der Kolonie der abgeschriebenen Juden.
Anders als der Autor schreibt, wird der Jude Krispus nicht Christ, sondern von einem Juden, der von keinem Messias weiß, zu einem Juden, der an den Messias Jesus glaubt. Also kein Religionsübertritt. Also kein Zurücklassen seines Judeseins. Er wird kein Heidenchrist.
Paulus gründete auch keine (heiden-)christliche Gemeinde, sondern eine Jesus-Synagoge. Direkt neben der Synagoge der anderen Juden lehrt Paulus im Haus des Griechen Titius Justus, der sich immer zur Synagoge hielt. Paulus gründet eine zweite Synagoge in Korinth. Dort wird an Jesus geglaubt. Es gab in größeren Städten immer mehrere Synagogen, teils wegen familiären Bezügen, teils wegen Lehrmeinungen.
Also: Es wird nichts mit dem Durchbruch zu einer heiden-„christlichen Gemeinde“ die dann Israel ersetzt. Wenn es später Konflikte mit der anderen Synagoge gibt, dann heißt das: Der inner- jüdische Streit eskalierte ähnlich wie in Rom. Die einen Juden (und gottesfürchtigen Heiden) versuchen die anderen Juden (und gottesfürchtigen Heiden) per staatlicher Gewalt zu behindern bzw. den Rädelsführer der anderen (Paulus) ins Gefängnis werfen zu lassen.
Summa: Das Verständnis der Geschehnisse im Neuen Testament hat sich in den 50 Jahren christlich-jüdischen Dialogs und intensiver Forschung erheblich weiterentwickelt.
Reiner Fröhlich, Kierspe