Artikel teilen:

Er ließ das Pferd radlos zurück

Vor 200 Jahren erfand Karl Drais mit seiner „Laufmaschine“ den Urtyp des heutigen Fahrrads. Der Siegeszug seiner revolutionären Erfindung, den er selbst nicht mehr erlebte, hält bis heute an

akg-images

Zwei hölzerne Räder in einer Spur, verbunden durch einen stabilen Eschenholzrahmen mit leichtgängiger Lenkstange und Ledersattel: Vor 200 Jahren erfand der Mannheimer Tüftler Karl Drais (1785-1851) die „Laufmaschine“, den Urtyp des Fahrrads. In seiner Patentschrift schrieb Drais, dass ein Mensch „sein eigenes Gewicht viel leichter auf meiner Maschine“ schiebe. Und die Schnelligkeit in der Ebene vergleicht er mit dem Schlittschuhlaufen.

Verbote konnten weltweiten Siegeszug nicht bremsen

Am 12. Juni 1817 führte seine Jungfernfahrt vor einem staunenden Publikum von seinem Wohnhaus in der Mannheimer Innenstadt bis zur etwa sieben Kilometer entfernten Schwetzinger Postpferdestation und retour. Dafür benötigte er knapp eine Stunde, wie die Zeitungen damals berichteten. Seine Behauptung, dass das Velo „bergab schneller als ein Pferd“ ist, bestätigte er kurz darauf am 28. Juli 1817 im Schwarzwald, als er von Gernsbach aus mit seiner Laufmaschine bei einer prestigeträchtigen Fahrt über den Berg nach Baden-Baden die Fahrzeit der Postkutsche um mehr als eine Stunde unterbot.
Doch statt Ruhm und Ehre erntete Drais bei seinen Zeitgenossen vor allem Spott und Unverständnis. Viel zu instabil, nutzlos und zu teuer sei das „hölzerne Pferd“, lauteten die Urteile. Nur in London und Paris gab es für wenige Jahre eine kurze Draisinen-Begeisterung. In England wurden sogar Wettrennen ausgefahren.
Nach kleineren Unfällen – auf Bürgersteigen kollidierten sie oft mit Fußgängern – erteilten dann mehrere Städte den Laufmaschinen Fahrverbote auf Gehwegen. Bereits Ende 1817 gab es ein solches Verbot in  Mannheim und in den folgenden zwei Jahren ähnliche Verbote in Mailand, London, New York und später sogar in Kalkutta.
„Drais erlebte den Siegeszug seiner Erfindung nicht mehr. Erst nach seinem Tod verbreitete sich die Idee der Laufmaschinen, die dann rasch zu den ersten mit Pedalen und Ketten angetriebenen Fahrrädern weiterentwickelt wurden“, erklärt Thomas Kosche vom baden-württembergischen Technikmuseum Technoseum.
Entscheidend für den Durchbruch war die Entwicklung des Luftreifens durch John Dunlop 1888, der das Fahrradfahren komfortabler und sicherer machte. Die frühen drahtbeschlagenen Räder hießen nicht ohne Grund „Knochenschüttler“. Schätzungen zufolge wurden seit den Anfängen bis heute weltweit etwa zwölf bis 14 Milliarden Fahrräder gebaut – vom Hoch- und Niederrad, Tret- und Rennrad bis hin zum modernen Elektrobike.
Allein in Deutschland werden heute Jahr für Jahr rund vier Millionen Fahrräder verkauft. Dabei wächst kontinuierlich der Anteil der E-Bikes mit eingebautem Rückenwind. Verblüffend ist, dass ein High-Tech-Elektro­rad anno 2017 häufig schwerer ist als die von Drais entwickelte, rund 22 Kilogramm schwere Eschenholz-Laufmaschine von 1817.
Drais-Biograph Hans-Erhard Lessing verweist auf die geniale Weitsicht des aus niederem Beamten­adel stammenden Drais: Die von ihm vor 200 Jahren gewählte Reifengröße (27 Zoll) gilt bis heute als Standard. Und schon Drais entwarf einen klappbaren Fahrradständer, das Prinzip der vom Lenker aus zu bedienenden Hinterradbremse überstand die Jahrhunderte.
Indes streiten Experten darüber, ob, wie von Lessing argumentiert, die um 1817 währende Hungerkrise entscheidenden Anteil an der Erfindung des Zweirads hatte. Der 1815 auf den Philippinen ausgebrochene Vulkan Tabora hatte solch gewaltige Aschemengen in die Atmosphäre geschleudert, dass es in Europa zu einem Jahr ohne Sommer und damit zu katastrophalen Missernten kam. In deren Folge, so die Überlegung Lessings, seien viele Pferde gestorben, weil schlicht nicht genügend Futter vorhanden gewesen sei beziehungsweise die Haferpreise dramatisch gestiegen seien. Und inmitten dieser Krise habe Drais nach alternativen Mobilitätskonzepten gesucht.
Den Beginn vom Abschied vom Pferd als wichtigstem Mobilitätsfaktor kann man rückblickend auf das Jahr 1817 datieren – auch wenn sich Carl Benz noch einige Jahrzehnte nach Drais für seine ersten Motorwagen ohne Pferde verspotten lassen musste. Benz selbst soll Drais als Visionär geschätzt haben.
2017 jedenfalls wird Drais nun groß gefeiert. Die Sonderausstellung im Mannheimer Technoseum spannt den Bogen von den ersten Laufmaschinen bis zu modernen Designerrädern und E-Bikes. Ein von Michael Herberger von den Söhnen Mannheims produziertes Musical feiert den genialen Erfinder. Wer mag, kann die Originalroute der ersten Draisinenfahrt bei einer Zweirad-Stadtführung nachradeln – auch wenn weder das Drais‘sche Geburtshaus noch die frühere Postpferdestation auf dem Weg nach Schwetzingen erhalten blieben.

Sonderausstellung und Jubiläumsprogramm

Ein neuer Roman erzählt vom unsteten Leben des in Karlsruhe geborenen Forstbeamten, der seinen adeligen Namen Karl Friedrich Christian Ludwig Freiherr Drais von Sauerbronn als überzeugter Demokrat 1849 in der Badischen Revolution ablegte. Drais entwickelte außer dem Laufrad auch eine Schreibmaschine, eine Kochmaschine und einen besonders energieeffizienten Holzofen. Im Juli gibt das Bundesfinanzministerium eine silberpolierte 20-Euro-Gedenkmünze heraus: Sie erinnert an seine wichtigste Erfindung und zeigt, wie Karl Drais mit eleganten Schritten auf seiner Laufmaschine dahingleitet.

Ausstellung „2 Räder – 200 Jahre. Freiherr von Drais und die Geschichte des Fahrrades“ im Technoseum Mannheim bis 25. Juni. Öffnungszeiten: täglich 9-17 Uhr. Internet: http://www.technoseum.de/. Zur Ausstellung ist ein Begleitband erschienen.

Jubiläumsprogramm „200 Jahre Draisine“ im Internet unter http://monnem-bike.de/.

 Johannes Schweikle: Die abenteuerliche Fahrt des Herrn von Drais. Eine Romanbiographie. Verlag Klöpfer und Meyer, 160 Seiten, 20 Euro.