„Opa, was machen wir jetzt?“ – Das ist die Standardfrage, wenn nachmittags die Wohnungstür aufgeht und die Enkel Nathanael und Hannah vor ihrem Großvater stehen. Die Kinder haben einen kurzen Weg zu ihren Großeltern: Sie leben im selben Haus. Der siebenjährige Nathanael geht dann meist direkt in den Keller. „Er belegt meine Werkstatt, hämmert oder sägt und ich kann dann anschließend meine Werkzeuge wieder zusammensuchen“, erzählt Reinhard Schromm (68) aus Kirchheim am Neckar lachend.
Auch Hannah, vier Jahre, will bereits handwerklich aktiv sein. Vor Kurzem haben alle gemeinsam ein kleines Stockbett für das Puppenhaus gezimmert, erzählt Schromm. Damit die Seiten gerade wurden, half er ein wenig mit der Elektrosäge nach. „Großvatersein ist eine zweite Lebens- und Entwicklungschance“, ist der Männerforscher Eckart Hammer (Reutlingen) überzeugt. Laut Generationenbarometer des Allensbacher Institutes verbringen die Großväter noch etwa 15 bis 25 Jahre mit ihren Enkeln – eine so lange Zeit wie noch nie.
Der Übergang in den Ruhestand ist für viele Männer ein „kritisches Lebensereignis“, wie Hammer erklärt. Zeit mit den Enkeln zu verbringen, könnte ihnen helfen: Die Kinder würden dann oft zum zentralen Ruhestandsprojekt, das ihnen Sinn gibt, sie ausfüllt und jung hält, sagt der Sozialwissenschaftler.
Selbst wenn man ein aktiver Vater war, könne man sich als Großvater im Ruhestand ganz ohne Erziehungsdruck nochmals anders auf die Kinder einlassen. Und etwas mit den Enkelkindern nachholen, was man mit den eigenen Kindern nicht leben konnte. Denn: „Der größte Wohlstand der Großväter ist der Zeitwohlstand.“
Als die Töchter von Reinhard Schromm noch klein waren, arbeitete der Betriebsinspekteur bei der Telekom und auch seine Frau war voll berufstätig. Die Kinder verbrachten deshalb den Tag im Kindergarten und bei der Großmutter. Heute ist Schromm im Ruhestand und genießt die Zeit mit seinen Enkeln – fast immer, sagt er augenzwinkernd.
Auch Martin Rosowski, Leiter des Fachbereichs Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover, beobachtet, dass immer mehr Großväter ein hohes Interesse an einer intensiven Beziehung zu ihren Enkelkindern haben. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Berufsleben könnten sie sich meist viel uneingeschränkter, geduldiger und achtsamer auf die Kinder einlassen und lernten dabei gleichzeitig sich selbst von einer anderen Seite kennen. Zudem halten Enkel ihre Großeltern fit. Denn der Umgang mit den Kindern bietet all das, was die Altersforschung zu den vier wichtigsten Lebenselixieren zählt, wie Eckart Hammer in seinem Buch „Großvater sein“ schreibt: Lernen, Laufen, Lachen und Lieben stehen für Neugier, Bewegung und Sport, Humor und gute Beziehungen.
Aber nicht nur die Großväter profitieren von ihren Enkeln – sondern auch andersherum. Vor allem in einer Familie, in der ein Kind als Einzelkind aufwachse, sei es manchmal heilsam, wenn der Opa seinen Enkel aus der „fürsorglichen Belagerung“ der Eltern befreie und auch mal etwas mit ihnen unternehme, was am Rande der pädagogischen Legalität ist – oder was der eigene Papa schlichtweg nicht kann. Außerdem werde die Rolle der Großväter – und natürlich Großmütter – auch als Betreuer der Enkel wichtiger, weil bei berufstätigen Müttern trotz Kita der Kinderbetreuungsbedarf steige.
Laut Hammer, der auch Professor für Soziale Gerontologie an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg ist, werden Großväter noch immer gesellschaftlich völlig unterschätzt. Sie müssten darauf achten, dass sie in einer weiblich geprägten Erziehungswelt nicht an den Rand gedrängt werden. Deshalb sollten sie nicht warten, bis das Enkelkind Fußball spielen kann, sondern von Anfang an in die Beziehung investieren, auch wenn das zunächst eben Windeln wickeln bedeute.
Ein Viertel aller Männer über 70, so Hammer, hat keine Enkel. Wer möchte, könne sich aber als „Leihopa“ oder Mentor engagieren. Oder einfach einer alleinerziehenden Mutter Hilfe bei der Kinderbetreuung anbieten.
Wenn Reinhard Schromm auf seine Enkel angesprochen wird, kommt er ins Erzählen: Wie die kleine Hannah mit der Rebschere in der Hand in seinem Weinberg steht, oder alle drei Enkel stolz neben ihm auf dem Traktor sitzen und zur Apfelernte fahren.
Allerdings, bemerkt er mit einem Lächeln, sei der Großvater immer nur dann gefragt, wenn keine gleichaltrigen Spielkameraden zur Verfügung stünden. Sobald seine Enkel die Nachbarskinder auf der Straße entdecken, rennen sie nach draußen. Doch es dauere meist nicht lange, bis die Haustür aufgehe und es wieder heiße: „Opa, was machen wir jetzt?“
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Entwicklungschance Opa
Wer sich um Enkel kümmert, bleibt fit – so die Forschung. Und kann sie ohne Erziehungsdruck und mit reichlich Zeit oft mehr genießen als die eigenen Kinder. Für viele Männer beginnt damit im Ruhestand noch mal was ganz Neues

© epd-bild / Jens Schulze