Washington (epd). Mehr als 150 Jahre nach dem Ende der Sklaverei wird in den USA die Forderung lauter: Die Regierung müsse die Nachkommen von Millionen versklavten Menschen entschädigen, die der Nation unter größten Leiden immensen Reichtum gebracht haben.
In Kalifornien hat Gouverneur Gavin Newsom nun Ende September ein Gesetz unterzeichnet, das die Schaffung einer staatlichen Arbeitsgruppe zu Reparationen vorsieht. Sklaverei sei zu «strukturellem Rassismus» geworden, der in Institutionen festsitze, sagte Newsom.
Auch in der Hauptstadt Washington will Stadtrat Kenyan McDuffie ein solches Komitee. Man müsse zugestehen, dass die von der US-Regierung gesetzlich geregelte Sklaverei und Diskriminierung danach schwarzen Amerikanern Chancen auf Wohlstand verwehrt hätten, sagte McDuffie.
Die Black-Lives-Matter-Kundgebungen haben in den vergangenen Monaten die schon lange schwelende Debatte um Reparationen belebt. Laut einer Umfrage des «Public Religion Research Institute» vom Oktober befürworten 16 Prozent der weißen und 76 Prozent der schwarzen US-Amerikaner Reparationen.
Die «Brookings Institution», ein der Demokratischen Partei nahe stehender Think Tank, legte im April eine Studie zu dem Thema vor. Sie kommt zu dem Ergebnis, es gebe «wirtschaftliche, soziale, und moralische Gründe» für Reparationen. Das Vermögen weißer Familien sei im Schnitt zehn Mal größer als das schwarzer. Es sei nur gerecht, wenn angesichts von Sklaverei und Ausbeutung Zahlungen an Nachkommen und andere Maßnahmen beschlossen würden.
Der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, vertritt hingegen die Ansicht, es sei «keine gute Idee», Reparationen für etwas zu zahlen, für das die Lebenden «nicht verantwortlich sind».
Der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden sagte während der Vorwahlen der «Washington Post», er werde das Konzept Reparationen prüfen. Inzwischen ist er still geworden zum Thema. Mit Reparationen kann man wahlpolitisch nicht gut punkten.
Rund 250 Jahre dauerte die Zeit der Sklaverei in den USA. Sie endete während des Amerikanischen Bürgerkriegs zwischen den Nordstaaten und den Sklaven haltenden Südstaaten (1861-1865). Befreiten Schwarzen wurde daraufhin Ackerland versprochen. Bekommen haben sie nichts. Die Plantagenbesitzer erhielten ihr Land trotz der Niederlage im Krieg zurück. Gesetze zur Rassentrennung zementierten
die Benachteiligung der Afroamerikaner für weitere fast 100 Jahre.
Bei Sklaverei denkt man an Baumwoll- und Zuckerrohrfelder. Das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Banken aus dem Norden haben die Plantagenwirtschaft mit Darlehen ermöglicht. Der Bürgermeister von New York City, Bill de Blasio, hat vor wenigen Jahren nahe der Wall Street eine Gedenktafel enthüllt: Mitte des 18. Jahrhundert hätten versklavte Menschen ein Fünftel der Stadtbewohner ausgemacht.
Versklavte Menschen arbeiteten auch am Bau des Weißen Hauses.
Die Epoche der Sklaverei mit ihrer außerordentlichen Brutalität, den Vergewaltigungen, dem Auseinanderreißen von Familien, ist ein unangenehmes Thema im weißen Amerika. Beim Hinschauen werden patriotische Mythen erschüttert, die auch am heldenhaften Image des ersten US-Präsidenten George Washington (1732-1799) kratzen. Ebenso wie Gründervater Thomas Jefferson (1743-1826) versklavte Washington auf seinen Gütern Hunderte schwarzer Menschen. Und vor zwei Jahren dokumentierte Historikerin Erica Armstrong Dunbar sogar seinen angestrengten Versuch, eine von ihm in die Freiheit geflohene versklavte Frau und deren Kinder zu entführen.
Teile der US-Kirchen nehmen das Thema Reparationen sehr ernst. Das Konzept der Wiedergutmachung sei biblisch, erklärte beispielsweise der Präsident des ökumenischen Nationalen Kirchenrates, Jim Winkler, auf einer Konferenz im Oktober. Dabei erinnerte er an eine berühmte Rede des Bürgerrechtsaktivisten Jim Forman vom Mai 1969.