In seiner Doku stellt Stephan Bergmann Menschen vor, die auf unterschiedlichsten Wegen den Tod als natürliches Phänomen überwinden wollen – verstörende Momente inclusive.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Nicht alle Menschen akzeptieren den Tod als natürliche Grenze des Daseins. Der Dokumentarfilm von Stephan Bergmann aus dem Jahr 2021 porträtiert Wortführer und Vordenker der Transhumanisten-Bewegung in den USA und Großbritannien, die mit viel Energie und Kapital nach Wegen zur Unsterblichkeit forschen. Ihr Traum ist die Erschaffung von mehrhundertjährigen Supermenschen. Dieses Ziel hat für sie denselben Stellenwert in der Geschichte der Zivilisation wie die Entdeckung des Feuers oder des Rades.
Einer der Porträtierten schluckt massenhaft Nahrungsergänzungstabletten, ein anderer implantiert sich Miniaturgeräte technischer Intelligenz in den Körper, eine will ihr biologisches Alter durch Injektionen verzögern, einer friert seine Gene ein, um diese später wieder nutzbar machen zu können. Sie alle sind besessene Individualisten, deren Blick sich aufs eigene Ego richtet, ohne Gedanken an die damit verbundenen Folgen, für die Ressourcen des Planeten oder das Zusammenspiel der Spezies Mensch mit der umgebenden Welt.
Der Film beobachtet die Experimente scheinbar objektiv, ohne eigenen Kommentar. Er baut aber einen intellektuellen Widersacher ein, den französischen Schriftsteller Frederic Beigbeder. Der Autor des Romans “Endlos leben” wirft einen kritischen Blick auf den Unendlichkeitswahn und preist stattdessen die Schönheit des Lebens, wie es ist: in all seinen natürlichen Abläufen und eben auch mit dem Tod.
Manche Bilder im Zusammenhang mit Beigbeder, etwa Spaziergänge am Meer oder die Einheit des Menschen mit der Natur, machen “Endlich unendlich” auch zu einer spirituellen Erfahrung.
Das Problem ist nicht ganz neu. Wie alle Kreaturen sind auch Menschen sterblich. Ärgerlich daran ist nur, dass wir darum wissen. Darum haben Religionen Vorstellungen entwickelt, die nach dem Tod irgendeine Form eines ewigen Lebens in Aussicht stellen. Auch mancher aufgeklärte Philosoph mühte sich, den Menschen zu einer irgendwie gearteten Teilhabe an der Ewigkeit zu verhelfen, und sei es auch nur als absoluter Geist.
Dabei könnte es ja durchaus schon tröstlich sein, dass sich die Lebenserwartung der Menschen in Deutschland binnen der letzten 150 Jahre nahezu verdoppelt hat. Vielen reicht das aber nicht. Dass bei etwa 70 Prozent der Todesfälle immer noch Altersschwäche als Ursache gilt, empfinden sie als skandalös, weil unnötig.
Der Dokumentarfilm “Endlich unendlich” von 2021 unternimmt eine Reise in die Welt der sogenannten Transhumanisten, die sich in unterschiedlichsten Formen nicht mit dem Sterben abfinden wollen. Das beginnt mit einem kerngesunden US-Amerikaner, der täglich acht verschiedene Pillen zu sich nimmt, von denen er sich eine spürbare Verlängerung seines Daseins verspricht. Es folgt eine Frau, die auf Stammzellentherapie und Gentechnik setzt und sich allerlei Substanzen spritzen lässt, um ihre Zellen am Altern zu hindern. “Alt aussehen heißt krank sein”, glaubt sie. Biologisch sei sie 48 Jahre alt, viele ihrer Zellen wären allerdings erst 33. Wie zum Beleg für ihre Vitalität sieht man sie im Garten mit ihrem Teenager-Sohn Fußball spielen.
Dann gibt es aber auch die Spezies der Bio-Hacker, die sich die Crispr-Genschere zunutze machen und Gen-Baukästen im Internet bestellen, um damit im Selbstversuch beispielsweise das Myostatin-Gen auszuschalten, das das Wachstum der Muskelzellen bremst. Einer von ihnen erklärt, dass es ihm nicht darum gehe, mehr Muskeln aufzubauen; er wolle vielmehr deren Abnutzung vorbeugen und sie damit – und letztlich sich selbst natürlich – länger am Leben erhalten.
Andere Lebensverlängerer arbeiten fieberhaft an der Schnittstelle von Mensch und Computer. Sie lassen sich Chips implantieren, die bereits dann vor Krankheiten warnen, ehe spürbare Symptome auftreten; andere setzen auf künstliche Intelligenz in Form sogenannter Mindfiles wie etwa die Schöpfer von BETA48. Das ist ein sprechender Roboterkopf, der dank seiner Gummihaut über 64 verschiedene Gesichtsausdrücke verfügt und sich angeregt unterhalten kann. Dazu wurden ihm Hunderte Stunden an Interviewmaterial implantiert, die in Kombination mit raffinierten Algorithmen die Möglichkeit echter Gespräche suggerieren.
BETA48 ist kein reines Kunstprodukt, sondern wurde einer noch lebenden US-Amerikanerin nachempfunden, die in “Endlich unendlich” mit ihrer Lebensgefährtin und ihrem künstlichen Double in einer Talkshow zu sehen ist. Beide Frauen sind davon überzeugt, dass der sprechende Kunstkopf die Trauer über einen möglichen Tod gravierend zu mindern vermag. Wenn die Freundin auch noch so ein Kopf-Double von sich anfertigen ließe, könnten die beiden Geschöpfe nach dem Ableben ihrer biologischen Vorlagen sicher manch anregendes Gespräch führen.
In solchen Momenten weiß man manchmal nicht, ob man das alles lächerlich oder gruselig finden soll. Doch alle Protagonisten sind mit sichtbarem Ernst bei der Sache. Und der österreichische Dokumentarist Stephan Bergmann betrachtet ihr Treiben durchaus mit Faszination und enthält sich jeden Kommentars oder irgendwelcher Nachfragen. So bleiben ethische und soziale Aspekte von lebensverlängernden Maßnahmen weitgehend ausgespart.
Wo, wie und wovon die Menschen leben wollen, wenn die Lebenserwartung bei 200 Jahren liegen, wird kaum thematisiert. Für eine kritische Sicht der Dinge ist in “Endlich unendlich” vor allem der französische Schriftsteller Frederic Beigbeder zuständig, der bekennt, dass er auch gerne ewig leben würde; der Preis für diesen Fortschritt aber sei ihm entschieden zu hoch.