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Ende einer Epoche

Der Staatstreich gegen Michail Gorbatschow vor 25 Jahren sollte den Zerfall der UdSSR stoppen. Was folgte, war das Gegenteil: Im Dezember 1991 hörte die Sowjetunion auf zu existieren

akg-images / AP

Es ist der Morgen des 19. August 1991. Unter den Menschen in Moskau breitet sich Unruhe aus. Panzer rasseln durch die Straßen und besetzen strategische Punkte der sowjetischen Hauptstadt. Das Fernsehen zeigt Ballett. Eine Radioansprache bringt Klarheit in dieser Situation: Es ist ein Putsch. Ein „Staatskomitee für den Ausnahmezustand in der Sowjetunion“ verkündet, Staatschef Michail Gorbatschow sei „aus gesundheitlichen Gründen“ abgesetzt.
Die Anführer kommen aus dem engsten Führungszirkel: Vizepräsident Gennadi Janajew, Ministerpräsident Walentin Pawlow, Innenminister Boris Pugo, Verteidigungsminister Dmitri Jasow und Wladimir Krjutschkow, Chef des Geheimdienstes KGB. Kurz darauf stellen sich die meisten Regierungsmitglieder hinter sie. Die neue Spitze führt in ihrer ersten Verlautbarung die Zensur wieder ein, verbietet Streiks und Demonstrationen. Gorbatschow steht derweil auf der Krim unter Hausarrest – er hat dort Urlaub gemacht.
Im Jahr 1991 ist die Glasnost- und Perestroika-Euphorie vom Beginn der Regierungszeit Gorbatschows längst verflogen. Die UdSSR steht vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Gorbatschow muss im Juli 1991 im Westen um Kredite bitten.

Die UdSSR sollte föderaler werden

In den Sowjetrepubliken gibt es starke Unabhängigkeitsbewegungen, die baltischen Republiken im Westen sind schon auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Ein neuer Unionsvertrag soll die Situation retten, indem er die UdSSR föderaler machen und den Sowjetrepubliken mehr Rechte geben soll. Am 20. August steht die Unterzeichnung an. Einen Tag vorher beginnt der Staatstreich, dessen Initiatoren befürchten den Zerfall der UdSSR.
Oleg Baklanow, damals Vizechef des Verteidigungsrates und einer der Putschisten, behauptete später in einem Interview, Staatschef Michail Gorbatschow habe von dem Coup gewusst und ihn sogar gebilligt. Er habe sich so des russischen Präsidenten und innenpolitischen Gegners Boris Jelzin entledigen wollen. Der Gorbatschow-Biograph Klaus-Rüdiger Mai hält das für „Unfug“: Am 17. August trafen sich die Verschwörer bei KGB-Chef Krjutschkow. Dabei beschlossen sie, Gorbatschow zum Rücktritt zu bewegen. „Das konnte Gorbatschow gar nicht wissen“, sagt Mai.
Nur: Er ließ sich nicht zum Rücktritt bewegen. Baklanow und drei weitere Meuterer besuchten ihn am 18. August in seiner Datscha auf der Krim. Als sie mit einem „Nein“ Gorbatschows zurückkamen, trat die Clique die Flucht nach vorn an: den Putsch. „Sie hatten einen Plan A, aber keinen Plan B“, erklärt Biograph Mai. „Ihnen war klar, dass sie nicht zurück konnten. Aber es war nichts vorbereitet, sie konnten nur einige Panzer rollen lassen und haben sich darauf verlassen, dass die Befehlskette in der Armee funktioniert.“
Auf der ersten Pressekonferenz zittern Janajew die Hände, als er seine Verlautbarung abliest. „Ich dachte, es müssten Idioten sein, wenn sie gerade in diesem Moment va banque spielen würden“, sagte Gorbatschow später in einem „Spiegel“-Interview.

Viele „Idioten“ und ein „Halbidiot“

Er konnte sich wohl nicht vorstellen, dass die Putschisten alles auf eine Karte setzten. „Aber es waren leider wirklich Idioten.“ Allerdings räumte Gorbatschow in dem Interview gleichzeitig ein, es sei ein Fehler gewesen, sich in einem solch angespannten Moment in den Urlaub zu verabschieden und nannte sich selbst einen
„Halbidioten“.
Die Putschisten haben weder im Volk noch im Militär Rückhalt. Auf den Straßen Moskaus verbrüdern sich Soldaten und Bürger, das Fernsehen berichtet darüber. Der Moskauer Patriarch der orthodoxen Kirche verurteilt den Staatsstreich. Jelzin setzt sich an die Spitze des Protests. Vor dem Weißen Haus in Moskau, dem Sitz des Obersten Sowjets, hält er vom Panzer herab Reden vor mehreren hundert Menschen und erklärt die Absetzung Gorbatschows für illegal.
Als das „Staatskomitee“ den Befehl gibt, das Weiße Haus anzugreifen, folgen die Soldaten nicht. Sogar eine Einheit des Geheimdienstes KGB weigert sich zu schießen. Am 21. August sterben aber doch drei Menschen, als sie einen Panzer erobern wollen und Soldaten auf sie feuern. Die Proteste gegen den Coup verstärken sich daraufhin, Verteidigungsminister Jasow zieht das Militär aus Moskau zurück, das „Staatskomitee“ flieht aus Moskau. Der Putsch ist gescheitert.
Der geplante Unionsvertrag ist danach Makulatur. „Die Idee der UdSSR war nicht mehr mit positivem Inhalt zu füllen“, sagt Mai. Auch Jelzin will Russland in die Unabhängigkeit führen. Mai betont jedoch, dass der Coup nicht die Ursache für das Ende der Sowjetunion gewesen sei, sondern das „Resultat eines langen Niedergangs“, der eine große Orientierungslosigkeit erzeugt habe: „Die einen wollten den Stalinismus zurückholen, die anderen weiter vorwärts.“
Innenminister Boris Pugo nimmt sich nach dem Scheitern des Putsches das Leben, die anderen Verschwörer werden zu geringen Haftstrafen verurteilt. Michail Gorbatschow tritt am 24. August als Generalsekretär der KPdSU zurück.
Dem russischen Präsidenten Boris Jelzin verhilft der gescheiterte Staatsstreich zu großer Popularität. Im Dezember 1991 beschließen die Präsidenten von Russland, Weißrussland und der Ukraine die Auflösung der Sowjetunion und gründen mit anderen einstigen Teilrepubliken die „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“ (GUS).