Es ist der Morgen des 19. August 1991. Unter den Menschen in Moskau breitet sich Unruhe aus. Panzer rasseln durch die Straßen und besetzen strategische Punkte der sowjetischen Hauptstadt. Das Fernsehen zeigt Ballett. Eine Radioansprache bringt Klarheit in dieser Situation: Es ist ein Putsch. Ein „Staatskomitee für den Ausnahmezustand in der Sowjetunion“ verkündet, Staatschef Michail Gorbatschow sei „aus gesundheitlichen Gründen“ abgesetzt.
Die Anführer kommen aus dem engsten Führungszirkel: Vizepräsident Gennadi Janajew, Ministerpräsident Walentin Pawlow, Innenminister Boris Pugo, Verteidigungsminister Dmitri Jasow und Wladimir Krjutschkow, Chef des Geheimdienstes KGB. Kurz darauf stellen sich die meisten Regierungsmitglieder hinter sie. Die neue Spitze führt in ihrer ersten Verlautbarung die Zensur wieder ein, verbietet Streiks und Demonstrationen. Gorbatschow steht derweil auf der Krim unter Hausarrest – er hat dort Urlaub gemacht.
Im Jahr 1991 ist die Glasnost- und Perestroika-Euphorie vom Beginn der Regierungszeit Gorbatschows längst verflogen. Die UdSSR steht vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Gorbatschow muss im Juli 1991 im Westen um Kredite bitten.
Die UdSSR sollte föderaler werden
In den Sowjetrepubliken gibt es starke Unabhängigkeitsbewegungen, die baltischen Republiken im Westen sind schon auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Ein neuer Unionsvertrag soll die Situation retten, indem er die UdSSR föderaler machen und den Sowjetrepubliken mehr Rechte geben soll. Am 20. August steht die Unterzeichnung an. Einen Tag vorher beginnt der Staatstreich, dessen Initiatoren befürchten den Zerfall der UdSSR.
Oleg Baklanow, damals Vizechef des Verteidigungsrates und einer der Putschisten, behauptete später in einem Interview, Staatschef Michail Gorbatschow habe von dem Coup gewusst und ihn sogar gebilligt. Er habe sich so des russischen Präsidenten und innenpolitischen Gegners Boris Jelzin entledigen wollen. Der Gorbatschow-Biograph Klaus-Rüdiger Mai hält das für „Unfug“: Am 17. August trafen sich die Verschwörer bei KGB-Chef Krjutschkow. Dabei beschlossen sie, Gorbatschow zum Rücktritt zu bewegen. „Das konnte Gorbatschow gar nicht wissen“, sagt Mai.
Nur: Er ließ sich nicht zum Rücktritt bewegen. Baklanow und drei weitere Meuterer besuchten ihn am 18. August in seiner Datscha auf der Krim. Als sie mit einem „Nein“ Gorbatschows zurückkamen, trat die Clique die Flucht nach vorn an: den Putsch. „Sie hatten einen Plan A, aber keinen Plan B“, erklärt Biograph Mai. „Ihnen war klar, dass sie nicht zurück konnten. Aber es war nichts vorbereitet, sie konnten nur einige Panzer rollen lassen und haben sich darauf verlassen, dass die Befehlskette in der Armee funktioniert.“
Auf der ersten Pressekonferenz zittern Janajew die Hände, als er seine Verlautbarung abliest. „Ich dachte, es müssten Idioten sein, wenn sie gerade in diesem Moment va banque spielen würden“, sagte Gorbatschow später in einem „Spiegel“-Interview.