Braunschweig. Bevor er den Motorrad-Helm aufsetzt, klappt der evangelische Pastor Reinhard Arnold seinen Gehstock einfach in zwei Teile zusammen. "Sonst passt er nicht in das Gepäckfach", sagt der 62-Jährige. Als er den Knopf für den Anlasser drückt, ertönt vor der Kirche ein lautes Brummen. Es ist eine seiner letzten Probefahrten vor der jährlichen Gedenkfahrt für Unfallopfer, die der Motorradfahrer-Seelsorger seit 30 Jahren organisiert. Die Veranstaltung mit mehreren tausend Bikern gilt als größte, ehrenamtlich organisierte Gedenkfahrt bundesweit.
Bei dem Korso unter dem Motto "Bring den Frieden auf die Straße" am 29. April von Salzgitter nach Braunschweig erinnern die Teilnehmer an insgesamt sieben Verkehrstote der Region. Zwar sei die Zahl der Unfallopfer in den vergangenen Jahren laut Statistik zurückgegangen, sagt der Pastor: "Doch jeder Einzelne ist einer zu viel." Seit Beginn der Gedenkfahrten haben die Biker bereits mehr als 400 tödlich verunglückter Motorradfahrer gedacht. Bis zu 16.000 Menschen kamen teilweise zu den Demos.
Bewegende Geschichte
Vor mehr als 30 Jahren rief Arnold zunächst die sogenannte Arbeitsgemeinschaft Christlicher Motorradfahrer (acm) im Braunschweiger Land ins Leben. Anlass war der Tod eines Bikers im Nordharz und das Bedürfnis befreundeter Fahrer, um ihn zu trauern, erinnert sich der Theologe. Die Angehörigen hätten einer gemeinsamen Trauerfeier nicht zugestimmt, weil sie dem Motorradfahren indirekt mit die Schuld am Tod gaben. Aus der Arbeitsgemeinschaft entstand 1987 die erste Gedenkfahrt zunächst nach Wolfenbüttel.
Mittlerweile betreut der Seelsorger ehrenamtlich Familien von Unfallopfern in der zweiten und dritten Generation. Bewegend sei vor etwa sechs Jahren die Geschichte eines jungen Fahrers im Harz gewesen, der genau zu der Zeit der Gedenkfahrt tödlich verunglückte. "Sein Vater rief mich am nächsten Tag an, als sie ihn fanden."
Für den jährlichen Korso fertigen seit etwa zwei Jahrzehnten Berufsschüler aus Salzgitter Holzkreuze mit den Namen der Verstorbenen an. Diese werden in einer Prozession zum Gottesdienst in den Braunschweiger Dom getragen. Auch dort gibt es Biker, die seit der ersten Stunde dabei seien, sagt Arnold. "Wenn ich in den Dom gucke, sehe ich viel graues Haar."