Der Wohltäter war ein Raffke. Doch als solcher verstand er sich sehr wohl aufs Feilschen: „Ich wünsche im Hinblick auf mein ewiges Heil, in einem heiligen Handel meine weltlichen Güter, die ich der göttlichen Güte verdanke, gegen die himmlischen Güter zu tauschen und somit aus Vergänglichem Ewiges zu schaffen", gab Nicolas Rolin in der Gründungsurkunde offen zu. Vor 575 Jahren, im August 1443, stiftete Rolin, Kanzler des Herzogs von Burgund, das Hotel-Dieu in Beaune.
Die kalkuliert-fromme Stiftung blieb als Hospital und Altenheim für die Armen bis 1971 pausenlos im Einsatz – um danach in neue, größere Häuser umzuziehen. Heute ist das Hotel-Dieu mit seiner großenteils erhaltenen Ausstattung sozusagen ein halbes Jahrtausend Sozialgeschichte zum Anfassen und mit rund 400 000 Besuchern jährlich einer der größten Touristenmagneten Frankreichs.
Als sich am Ende des Hundertjährigen Krieges (1339-1453) Phillipp der Gute, Herzog von Burgund, und König Karl VII. von Frankreich versöhnten, lag das Land in Trümmern; die Bevölkerung, auch die des einst wohlhabenden Burgund, litt Hunger, die Pest tat ihr Übriges. Von den 2300 Bewohnern von Beaune galten 2000 als mittellos. Phillipps Kanzler dagegen, Nicolas Rolin, hatte es aus dem Staub zu den Sternen geschafft.
Von einfacher Herkunft, war er durch Fleiß, Rücksichtslosigkeit und Raffgier zu einem der mächtigs-ten Männer des Landes aufgestiegen und zu geradezu unermesslichem Reichtum gelangt. Selbst vor der Auslieferung der Jeanne d'Arc an die Engländer war er nicht zurückgeschreckt. Nun veranlasste sein vermeintlicher Wandel zum Wohltäter den späteren französischen König Ludwig XI. zu der spöttischen Bemerkung: „Es war nur gerecht, dass der, der in seinem Leben so viele arm gemacht hat, ihnen vor seinem Ende ein Asyl bietet.“
Von außen wirkt das prächtige Hotel-Dieu wie eine karge Festung. Eine Stadt in der Stadt – Tribut an die kriegerischen Zeiten, in denen man auf marodierende Räuberbanden gefasst sein musste. Welch ein Kontrast dagegen der Innenhof im spätgotischen, burgundisch-flämischen Stil: Die leuchtend bunte Pracht einer Gebirgskette aus Dächern, die Weite des Platzes deuten bereits an: Hier wurde den Armen ein Palast errichtet.
Und der Eindruck wird zur Gewissheit, wenn man den „Großen Saal“ betritt. Lang wie ein Kirchen-schiff, hoch wie ein Kirchenschiff, feierlich und prächtig wie ein Kirchenschiff. Zu beiden Seiten, Beichtstühlen gleich, in langen Reihen die 30 Betten der Kranken, in samtrot ausgeschlagenen Kammern aus Eichenholz. Den Abschluss an der Stirnseite bildet, alltags durch einen Vorhang abgetrennt, eine Kapelle. Sie verkörpert am nachdrücklichsten die Symbiose von religiöser und medizinischer Dimension des Hotel-Dieu.
Hier stand auch ursprünglich das überdimensionale Retabelgemälde des „Weltgerichts“ von Rogier van der Weyden (1400-1464), das bei den Gottesdiensten an Sonn- und Feiertagen die Kranken in ihren Betten höchst eindrücklich an ihr künftiges Schicksal erinnerte: gerettet oder verdammt, betend oder bratend in der Flammenhölle? Und es erinnerte sie auch daran, wem sie ihre Unterkunft und wohltuende Pflege verdankten: Denn auf den Außenflügeln des Klappaltars knien der Stifter und seine Gattin zu Füßen der Schutzheiligen Sebastian und Antonius. Nach der Französischen Revolution verschwunden, tauchte das weltberühmte Werk, eines der bedeutendsten Gemälde Frankreichs und des gesamten Spätmittelalters, erst 1836 wieder auf.
Das Hospital birgt eine Vielzahl außergewöhnlicher Kunstschätze. Fast noch beeindruckender aber sind die Sammlungen von Alltagsgegenständen und abenteuerlichen medizinischen Gerätschaften, die dem Kranksein früherer Jahrhunderte eine mal erheiternde, mal Grauen erregende Plastizität verleiht: Bettpfannen, Klistiere, Spucknäpfe aus allerlei Epochen, fein säuberlich aufgebaut. Auch für Schröpfen und Aderlass stand alles jederzeit griffbereit.
Um all dies noch anschaulicher zu machen, sind an mehreren Stellen Alltagsszenen mit lebensgroßen Figuren nachgestellt: Nachtschwester Ingeborg am Bettrand, am Spinnrad, am Wäscheschrank – immer im Habit der „Spitalschwestern von Beaune“, einer eigens gegründeten Ordensgemeinschaft, die zeitweilig bis zu 50 Niederlassungen weltweit umfasste.
Ein Höhepunkt des freiwilligen Krankenhausaufenthalts ist sicher die Apotheke aus dem 18. Jahrhundert: tipptopp geordnet, glänzend sortiert. Fasziniert läuft eine Horde Schulkinder von Medizinschrank zu Medizinschrank und amüsiert sich über immer neue Funde: „Kellerasselpulver“, „Brechnuss“ oder „Eigentümlichkeitselixier“. Finanziert wurde die Einrichtung durch mehr als 60 Hektar Weinberge, teils in den besten Lagen Burgunds: ein immenses Stiftungskapital, mit dem bis heute mehrere Altenpflegeheime der „Hospices de Beaune“ einen beträchtlichen Teil ihrer Unterhaltskosten decken.
Gott kann auf krummen Linien gerade schreiben, heißt es. Und so hat der gierige Kanzler Nicolas Rolin mit seiner Stiftung tatsächlich ein gutes Werk vollbracht, das noch nach mehr als einem halben Jahrtausend reiche Früchte trägt.
Artikel teilen:
Ein Palast für die Armen
Reich geworden war der herzogliche Kanzler durch Intrigen. Gegen Ende seines Lebens aber wurde ihm um sein Seelenheil bange. Also stiftete er vor 575 Jahren das berühmteste Krankenhaus des Mittelalters: das Hotel-Dieu im burgundischen Beaune
