Ein Krematorium – wohl die wenigsten kämen auf die Idee, hier zu Lebzeiten einmal vorbeizuschauen. Dabei bieten privat geführte Einäscherungsstätten dies an. Was trauernde Angehörige und neugierige Besucher erwartet.
“Wir sind ein offenes Haus”, sagt Matthias Scharlau. Ein Satz, den man kaum erwartet an einem Ort, an dem jeden Tag rund 50 Verstorbene eingeäschert werden. Regelmäßig führt der Geschäftsführer Besucher durch das Krematorium Bonn-Rhein-Erft. Und fast jeden Tag begleitet der 52-Jährige Angehörige, die am Tag der Kremierung in der Nähe ihres Verstorbenen sein möchten.
Privat geführte Krematorien wie das in der Nordeifel gelegene Mechernich kommen diesem Bedürfnis nach, sagt Scharlau. Hier können sich Hinterbliebene noch einmal am geschlossenen Sarg verabschieden. Von einem Nebenraum aus können sie zudem von der Seite mitverfolgen, wie der Sarg in einen der drei Brennöfen einfährt. Diesen Moment, wenn aus dem Leichnam langsam Asche wird, empfinden laut Scharlau viele als den eigentlichen Abschied: Wenn später die sterblichen Überreste in einer Urne beigesetzt werden, sei das für viele schon zu abstrakt.
In Mechernich befindet sich eines von 160 Krematorien in Deutschland. Urnenbeisetzungen liegen im Trend; 80 Prozent aller Toten werden laut Scharlau inzwischen eingeäschert. Der Ablauf folgt einem genauen Plan, “wir sind da sehr pingelig”, sagt der Geschäftsführer. Verwechslungen der Asche sollen unbedingt ausgeschlossen werden.
Gleich nach Ankunft des Sarges wird darauf ein feuerfester Stein geklebt, der mit einer individuellen Nummer versehen ist – er kommt später mit in die versiegelte Urne. So sei noch nach Jahren oder Jahrzehnten eine klare Zuordnung der Identität möglich, erklärt Scharlau. Die nächste Station des Sarges ist die Waage. Das Gewicht ist relevant für die Abrechnung – “da macht es schon einen Unterschied, ob die Person 40 oder 240 Kilogramm wiegt”.
Wenn die sterblichen Überreste in das Krematorium kommen, sind die Menschen in den Särgen bereits mehrere Tage tot, von einem Mediziner am Sterbeort im Totenschein attestiert. Bei einem natürlichen Tod führt ein Amtsarzt eine zweite Leichenschau durch. “Er überprüft noch einmal die Todesursache – das ist wichtig, weil man den Verstorbenen nicht mehr exhumieren kann und eine Beweissicherung später nicht mehr möglich ist.”
Wenn ein natürlicher Tod nicht sicher ist, erteile der Amtsarzt keine Freigabe – und nehme die Akten noch einmal mit. Das sei der Fall, wenn etwa ein Krankenhauspatient nach einem tödlichen Herzinfarkt auch Hämatome aufweist; dann werde beispielsweise Rücksprache mit dem Pflegepersonal gehalten. “Vielleicht ist er nach dem Herzinfarkt einfach gestürzt und hat davon blaue Flecken”, erläutert Scharlau. Mitunter werde in solchen Fällen auch die Kommission für Tötungsdelikte der Kripo eingeschaltet, etwa wenn ein Arztfehler nicht ausgeschlossen werden könne. Meist gebe die Polizei die Leiche nach einem Tag zur Kremierung frei.
In der sogenannten Einfuhrhalle wird der Sarg dann per Knopfdruck in den Brennofen geschoben. Bei bis zu 1.200 Grad fängt der hölzerne Einäscherungssarg sofort Feuer – ein Anblick, den Scharlau den Angehörigen bewusst nicht zumutet, um “ungute Bilder” zu vermeiden. Nach einer Stunde sind von dem Leichnam nur noch größere Gebeine übrig. Diese kommen für eine weitere Stunde in eine 750 Grad heiße Nachbrennkammer, wo sie schließlich zu Asche mineralisieren.
Auf der anderen Seite der Öfen wird die Asche in eine Schütte umgefüllt. Mit einem starken Magneten fischt ein Mitarbeiter nach dem Auskühlen metallene Stoffe heraus – Sargnägel, aber auch Fremdkörper wie künstliche Knie- und Hüftgelenke. Diese verwertet das Krematorium und spendet das Geld an Hospize, Friedhofsprojekte, Seniorenheime und Schulen und andere soziale Einrichtungen in der Umgebung.
Als schwierig empfindet es Scharlau, wenn Angehörige die Goldzähne vor der Kremierung entfernen lassen wollen. Dafür müsse ein Zahnarzt gefunden werden, der diesen Eingriff am Verstorbenen vornimmt – eine Option, die Scharlau als äußerst pietätlos empfindet. Im Krematorium sei dies nicht möglich. Da die Kremierungstemperaturen deutlich über dem Schmelzpunkt des Goldes liegen, sind Goldzähne nach der Kremierung nicht mehr eindeutig zuzuordnen, weil sie mit der Asche verbacken sind. Weil dass das Thema die Gemüter erhitzt, hat sich auch der Deutsche Städtetag ausführlich damit beschäftigt.
Die verbliebene Asche wird schließlich samt Stein in einer Kapsel in eine versiegelte Urne gefüllt. Scharlau und seinem 15-köpfigen Team ist ein würdevoller Umgang mit den Verstorbenen wichtig. Dennoch sei das Kremieren auch ein anspruchsvoller technischer Prozess, bei dem die Filtertechnik einen großen Anteil habe. Denn der Emissionsschutz sei eine Herausforderung, sagt der Unternehmer – “die Emissionsmessung läuft während der Einäscherung immer mit”.
Dreieinhalb Stunden liegen zwischen der Einfuhr in den Ofen und dem Abfüllen der Asche in die Urne. Kaum etwas ist dann physisch noch von dem Verstorbenen übrig. Dennoch steht für Scharlau fest: “Die Würde des Menschen endet nicht mit dem Tod und gilt auch für die Asche”. Diese habe eine “extrem hohe Bedeutung für die Angehörigen”. Manchmal nehmen die wartenden Angehörigen die Urne selbst in Empfang und übergeben sie dann ihrem Bestatter.
Gerne erinnert sich Scharlau an eine Familie, die im Oldtimer des verstorbenen Vaters zur Einäscherung vorgefahren sei. “Im Anschluss nahmen sie die Urne, schnallten sie auf dem Beifahrersitz fest – und sind mit ihm noch eine letzte Runde durch die Eifel gefahren.”