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Eden-Szene: Eva betet an, Adam pennt

Im Dresdner Lipsiusbau in der Kunsthalle ist gegenwärtig die Schau „Das Paradies auf Erden: Flämische Landschaftsmalerei“ zu sehen. Von Brueghel bis Rubens reicht die Palette der gezeigten Kunstwerke des 16. und 17. Jahrhunderts

Veit-Mario Thiede

Ein Sonnenstrahl fällt auf Noah, der vor der Arche betet. Ob Stachelschwein, Gürteltier oder Nasenbär: Es herrscht gelassene Aufbruchsstimmung. Mehr als 150 Tiere bis hin zu Wasserfrosch und Fliege hat Roelant Savery auf seinem prachtvollen Gemälde „Vor der Sintflut“ (1620) versammelt. Sein Meisterwerk ist der erste Blickfang einer Ausstellung im Lipsiusbau von Dresden. Ihr Thema ist die Erfindung und frühe Entwicklung der Landschaftskunst in der flämischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts. Aufgeboten sind 141 Ölgemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken, zu sehen bis zum 15. Januar 2017.
Die meisten Stücke gehören der Dresdener Gemäldegalerie Alte Meister. Sie verfügt über eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen flämischer Landschaftsmalerei. Gewusst hat das aber kaum jemand. Denn die Mehrzahl der Bilder schlummerte bis zu dieser Sonderschau im Depot.

Stammvater Abraham in den Niederlanden

Bevor die Landschaftsmalerei zur eigenständigen Bildgattung aufstieg, war sie Hintergrundkulisse auf Heiligendarstellungen. Das belegt die Schau beispielsweise mit dem groß ins Gemälde gesetzten „Heiligen Christophorus“, Ende des 15. Jahrhunderts vom „Meister mit dem gestickten Laub“ gemalt. Beim weiteren Rundgang kehrt sich das Verhältnis um: Die Landschaft wächst, die Figurenszenen schrumpfen. Gleichrangig sind sie auf der von Peter Paul Rubens äußerst dramatisch geschilderten „Wildschweinjagd“ (um 1616-1618) dargestellt. Friedlich und verträumt präsentiert sich hingegen die von Alexander Keirincx in der 1640er Jahren gemalte „Flussdurchströmte Landschaft“. Nur wer sie genau betrachtet, entdeckt fünf sehr klein gemalte Gestalten. Sie tragen kaum zur Bildwirkung bei. Ansonsten aber spielen szenische Darstellungen trotz ihrer Kleinheit eine tragende Rolle. In Lucas van Valckenborchs „Winterlandschaft bei Antwerpen mit Schneefall“ (1575) wimmelt die Bevölkerung nur so durch den kalten und diesigen Tag. Statt ihrer Zeitgenossen setzten die Maler auch mythologische Figuren in ihre Landschaftsbilder.
Besonders gern aber werteten sie ihre Landschaftsdarstellungen durch biblische Szenen auf. Oft ist das fromme Geschehen in eine „Weltlandschaft“ eingebettet. Sie zeigt nicht etwa einen realen Ort, sondern die Welt an sich in ihrer ganzen Vielfalt aus Bergen und Flusstälern, Wäldern und Meeresbuchten, Burgen, Städten und Feldern. Ausstellungskuratorin Uta Neidhardt erklärt: Die Natur wurde damals „in all ihren Formen als Zeichen der Schöpferkraft Gottes und seiner Liebe zu den Menschen gesehen“.
Pionier dieser Darstellungsform war Joachim Patinir. Ausgestellt ist seine „Landschaft mit der Flucht nach Ägypten“ (um 1516/17). Wir blicken von erhöhtem Standort hinab auf die leicht links von der Mittelachse dargebotene Szene: Maria mit dem Kind im Arm reitet auf dem von Josef geführten Esel. Die kleinen Gestalten ziehen durch eine bis in weite Ferne dargestellte Landschaft mit Bergen und weiter Wasserfläche. Vor Häusern rechts im Mittelgrund beobachten wir den Kindermord von Bethlehem. Dem kehrt die Heilige Familie den Rücken zu und flüchtet bergan. Am linken Bildrand stürzt ein Götzenbild kopfüber von seiner roten Säule, die auf einem großen Felsbrocken steht. Dies ist als Hinweis auf ihr Reiseziel zu verstehen: das ägyptische Heliopolis.
Wiederholt versetzten die Maler biblische Ereignisse in ihre eigene Zeit und eine ihnen gut bekannte Umgebung. Ein attraktives Beispiel ist das Gemälde „Abraham und die drei Engel“ (1586) von Hans Bol. Auf einer Brücke am unteren Bildrand steht ein alter Mann wie vom Donner gerührt. Es ist Abraham. Er hat die Hände gefaltet und blickt demütig gebeugt zu drei Engeln auf, die sich ihm in den Weg gestellt haben. Sie prophezeien ihm die Geburt seines lang ersehnten Sohnes. Abraham scheint in den Niederlanden zu leben. Diesen Eindruck legt die im Bildhintergrund geschilderte Silhouette der Stadt Delft nahe.

Versuchungsnacht in Feuer und Flamme

Paul Bril versetzt uns in eine idyllische Hügellandschaft mit Baumgruppen. Auf einem kleinen See schwimmen Enten. Am Ufer haben sich Kaninchen, ein Reh, Kühe und ein Hirte eingefunden. Das in den 1620er Jahren geschaffene Gemälde heißt „Waldlandschaft mit Tobias und dem Engel“. Vor einem knorrigen alten Baum entdecken wir sie unauffällig ins Bild gesetzt. Ihnen folgt ein kleiner Hund. Erzengel Raphael hat das Handgelenk des jungen Tobias umfasst und weist mit dem ausgestreckten linken Arm den Weg – hinaus nach rechts aus dem Bild. Er führt Tobias zum Haus der Sarah, seiner künftigen Frau.
Dramatischer Höhepunkt der Schau ist die von Jan Brueghel dem Älteren gemalte „Versuchung des heiligen Antonius“ (1604). In dem unheimlichen Nachtstück herrscht vom Halbmond fahl beschienene Weltuntergangsstimmung. Etwas Licht auf die undurchdringlich dunkle Wildnis und die im Mittelgrund aufragende Tempelruine wirft der Widerschein zweier in der Ferne wütender Feuersbrünste.  Hell leuchtend treten am Himmel und im Dickicht Ungeheuer aus der Dunkelheit. Links vorn scharen sie sich um Satan in Gestalt einer schönen Verführerin, die den Eremiten Antonius antippt. Aber der lässt sich nicht in Versuchung bringen, sondern faltet die Hände und studiert lieber die Heilige Schrift.
Neben solch höllenhaften Landschaften hatte Jan Breughel der Ältere mit Paradieslandschaften großen Erfolg. Ihre mit wechselnder Tierbesetzung aufwartenden farbenprächtigen Variationen waren auch für seinen Sohn Jan Breughel den Jüngeren ein Verkaufsschlager. Ein vom Junior produziertes Beispiel ist ausgestellt: die „Paradieslandschaft mit der Erschaffung Evas“. Links schlummert Adam. Vor ihm steht Gottvater, zu dem Eva mit gefalteten Händen aufblickt. Zeugen ihrer Erschaffung sind Löwe, Pfau und viele andere Tiere. Besonders aufmerksam schaut ein Apfelschimmel zu. Spät dran sind Esel und Ochse, die eben erst herantrotten. Dass Adam und Eva sich in den schönen Gefilden nicht zu benehmen wussten, ist im Mittel- und Hintergrund ausgemalt: Auf den Sündenfall folgt die Vertreibung. Ein am Wegesrand stehendes Straußenpaar schaut den Flüchtenden verdutzt entgegen.

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr. Heiligabend geschlossen, Silvester  10-14 Uhr, Neujahr 14-18 Uhr. Informationen: Telefon (03 51) 49 14 20 00, Internet: www.skd.museum/paradies. Der Katalog (Sandstein Verlag) kostet in der Ausstellung 28 Euro, im Buchhandel 39,80 Euro.