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Drei Filme aus der kriegserschütterten Ukraine bei der Berlinale

Der Abschluss der 74. Berlinale fällt mit dem zweiten Jahrestag des Beginns des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zusammen. Um den Krieg geht es auch in einigen Filmen – unter anderem von US-Altmeister Abel Ferrara.

Vor genau zwei Jahren überfiel Russland die Ukraine. Seitdem bestimmen Verwüstung, Tod und Leid das Leben der Bevölkerung. Doch die Zeit ist nicht stehen geblieben; andere internationale Krisen bestimmen mittlerweile ebenso das Weltgeschehen. Die anfängliche Solidarität mit dem ukrainischen Volk scheint im Westen einem gewissen Gewöhnungseffekt gewichen zu sein.

Dennoch beschäftigt der Krieg im Osten Europas auch die Filmemacher. Und es werden Filme fertiggestellt, die schon in Vorkriegszeiten begonnen wurden. Drei davon liefen auf der Berlinale. Sie unterscheiden sich in Genre, Thematik und Ton. Dennoch ergibt sich durch das Gesamtbild, das sie entwerfen, ein Blick auf ein Land, in dem sich das Leben radikal verändert hat.

Das eindrücklichste Werk ist von der Regisseurin Oksana Karpovych. Auf der Tonspur sind Telefonate von russischen Soldaten mit ihren Müttern und Partnerinnen zu hören, die der ukrainische Geheimdienst abgefangen hat. Die Bilder zeigen dagegen das Ausmaß der Zerstörung im Land und bilden mal einen Kontrast, dann wieder eine Ergänzung zu dem, was in den Gesprächen erörtert wird.

Es fängt scheinbar banal an – mit in Bäumen schaukelnden Kindern an einer Allee. Danach folgen lange Kamerafahrten, die aus der Fahrerperspektive von Geländewagen oder Kampffahrzeugen aus gefilmt wurden. Manchmal erkennt man eine vom Regen benetzte Windschutzscheibe, dann wiederum die Kanone eines Panzers. Die Fahrzeuge bewegen sich stur geradeaus, fahren durch Landschaften und Wohnorte, die Schauplätze von Kampfhandlungen waren und von Verwüstung und Flucht erzählen.

Bald hört man die ersten Gespräche, die die Regisseurin aus 31 Stunden Audiomaterial ausgewählt hat. Russische Soldaten bezeichnen Ukrainer abfällig als “Chochly” (russisches Schimpfwort für Ukrainer) oder als “Nazis” und behaupten, dass diese “außer Rand und Band” geraten seien – eine Täter-Opfer-Umkehr, die ihre Rechtfertigung aus der russischen Propaganda von Medien und Regierung schöpft und in der die Aggressoren sich zu Verteidigern stilisieren.

Dazu werden Bilder eingeblendet, die ihren Schrecken nicht verlieren, auch wenn man sie schon viel zu oft gesehen hat: eine zerbombte Kirche, verkohlte Häuser oder eine in Hast verlassene Küche, in der noch Eier auf dem Tisch stehen.

Einige der verwüsteten Küchen oder Zimmer wurden offenbar von russischen Soldaten geplündert. In den abgefangenen Gesprächen ist davon die Rede, wie modern die Ukraine sei und was die Invasoren aus Haushalten erbeutet hätten. In teilweise zerstörten Gebäuden wehen Gardinen in kaputten Fenstern. Man erblickt persönliche Gegenstände, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind: gerahmte Kinderbilder an der Wand, Kalender, zerstreute Kleidung. Zertrümmertes Geschirr in einem Schrank zeugt von schweren Gefechten, während ein Klavier mit Staub oder Geröll übersät ist.

Einige russische Mütter äußern in den Telefonaten Zweifel, ob die Lokalbevölkerung einverstanden mit der Präsenz der Russen sei. Auch Soldaten reflektieren anfangs ihr Tun und beweisen so etwas wie Schuldbewusstsein. Einer kritisiert sogar offen Putin. Ein Soldat verabschiedet sich voller Angst und Resignation von seiner Mutter, erzählt von einem Himmelfahrtskommando, zu dem er eingeteilt worden sei. Die Soldaten wissen sehr wohl, dass sie ihre Familie eigentlich nicht anrufen dürfen und machen keine Angaben über ihre Stellungen.

Doch im Laufe des Films gewinnen die aggressiven, menschenverachtenden und zynischen Kommentare von russischen Soldaten und ihren zumeist weiblichen Familienmitgliedern die Oberhand. Die russischen Kämpfer berichten freimütig, emotionslos oder manchmal auch stolz davon, wie sie Zivilisten umgebracht haben. Besonders schwer zu ertragen ist der Film, wenn von Foltermethoden gegenüber ukrainischen Gefangenen berichtet wird.

Dass die russische Armee seit Februar 2022 Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt, wird hier noch einmal von den Tätern bestätigt. Manche Soldaten bedauern, dass aus ihnen Monster geworden seien, andere tun es als Schicksal ab. Besonders erschreckend sind die Reaktionen vieler Mütter, die die furchtbaren Taten ihrer Söhne allzu oft gutheißen.

Auch Ehefrauen und Kinder russischer Soldaten spulen die Propaganda ab, mit der sie von ihren Medien indoktriniert werden. Ein Kind wünscht sich: “Töte schnell alle Ukrainer und komme dann nach Hause, Papa.” Der Vater eines Soldaten erkundigt sich, ob sein Sohn im Militäreinsatz auch ordentlich esse. Wenn kurz darauf ein zerstörtes Klassenzimmer eingeblendet wird, ist die Absurdität und Perversion solcher Aussagen besonders augenfällig. So vermittelt der Film von Oksana Karpovych einen unmittelbaren Einblick in die bittere ukrainische Realität; er stellt den russischen Imperialismus bloß und zeigt eine historische Kontinuität auf.

Die Rhetorik von russischen Tätern und ihrer Regierung ist wirr: Aggressoren von damals (Nazis) werden mit Opfern von heute (Ukrainern) gleichgesetzt, womit der Krieg legitimiert wird. Das zeugt nicht nur von einem eklatanten Mangel an Geschichtsbewusstsein, sondern unterstreicht den Expansionsanspruch eines Landes, dessen zynischer Machthaber eine jahrhundertealte zaristische Tradition fortsetzt. Das Team um die Regisseurin filmte zwar nicht direkt an der Front, begab sich beim Drehen aber oft in Lebensgefahr.

Daran, dass die Ukraine einmal ein gewöhnliches osteuropäisches Land war, in dem Menschen ihrer Arbeit nachgehen, an zwischenmenschlichen Problemen knabbern und mit alten Seilschaften und Korruption kämpfen, erinnert der Spielfilm von Roman Bondarchuk. Er spielt sechs Monate “vor der Eskalation des Krieges”, wie ein anfangs eingeblendeter Text informiert. Was im Westen als Beginn des russischen Angriffskriegs gilt, der 24. Februar 2022, ist aus ukrainischer Perspektive nur die Verschärfung des Konflikts, der in der Donbas-Region schon seit 2014 tobt.

Die Handlung des Films kreist um den jungen, idealistischen Journalisten Jura (Dmytro Bahnenko). Der ist in der Südukraine eigentlich auf der Suche nach Murmeltieren, damit die Region zum Naturschutzgebiet erklärt werden kann. Als er Zeuge von absichtlich verursachten Waldbränden wird, will er über diese Missstände berichten. Doch das Gebäude der einzigen Zeitung, die sich ihre journalistische Unabhängigkeit bewahrt hat, bewohnt nur noch ein Redakteur.

Der Redakteur der größten Boulevardzeitung der Region hat wiederum kein Interesse an der Wahrheit. Er ist Teil eines durch Korruption und Profitgier verbundenen Netzwerks, das Fake News produziert und sich in die anstehenden Regionalwahlen einmischt. Der regierende Bürgermeister, dessen Anhänger die einflussreichsten Bonzen der Stadt sind, liegt im Koma; nichtsdestotrotz verbreiten seine sozialen Medien Bilder, auf denen er quicklebendig einen ukrainischen Tanz vollführt.

Die politische Lage färbt auch auf Juras Familie ab; eine Seelenverwandte findet er indes in der linksliberalen Journalisten-Kollegin Vika. Diese gendert sogar und will gemeinsam mit Jura das korrupte System öffentlich entlarven. Das gelingt allerdings nicht, denn die Mächtigen von heute sind auch die Mächtigen von gestern und verfügen über genügend Mittel, um ihre Stellung zu verteidigen. Am Schluss gibt es einen sarkastischen Ausblick auf die Zeit nach dem Krieg, in der alles viel besser werden soll, doch erstmal beim Alten bleibt, nur unter anderem Anstrich.

Der Film transportiert seine desillusionierten Botschaften im Gewand einer burlesken Satire, die mit Überzeichnungen und Running Gags operiert. So verschwindet eine bronzene Löwenstatue aus dem Museum, in dem Jura ursprünglich arbeitet, und taucht in der Residenz eines Neureichen wieder auf. Der Tanz des vermeintlich gesunden Bürgermeisters wird von anderen Kandidaten prompt imitiert. Die Mächtigen geben sich einen esoterischen Anstrich und verbrämen so ihre sehr materialistischen Aspirationen. Mit dem mehrfachen Auftauchen der Murmeltiere schließt sich ein Kreis. Bondarchuk zeichnet die Ukraine vor dem Krieg als ein Land, das in puncto Demokratie noch massive Defizite aufweist, in dem aber immerhin die junge Generation für Hoffnung steht.

Gleichzeitig hat der Regisseur mit diesem Film eine Hommage an seine Heimatstadt Cherson gedreht; die Fertigstellung musste nach Ausbruch des Krieges erfolgen. Auch in dieser ukrainisch-deutsch-tschechisch-slowakischen Co-Produktion wird die Fiktion von der Realität eingeholt: Hauptdarsteller Dmytro Bahnenko drehte 2022 als Regisseur den Dokumentarfilm “Occupied” über das Leben seiner Familie während der Besetzung seiner Heimatstadt durch russische Truppen. Seit März 2023 kämpft Bahnenko als ukrainischer Soldat an der Front.

Bis an die vorderste Front der Kriegshandlungen begibt sich dagegen die Kamera in von Abel Ferrara, auch wenn man nicht genau weiß, von wem die Bilder aufgenommen wurden. In seinem Dokumentarfilm alternieren Kriegsbilder und Aussagen von ukrainischen Betroffenen mit einem Auftritt von Patti Smith in New York.

Die US-Rocksängerin singt und rezitiert in ihrer Performance Texte von Antonin Artaud, Rene Daumal und Arthur Rimbaud. In die Kultursphäre bildungsbürgerlicher New Yorker mischen sich Interviews mit ukrainischen Menschen, die ihre Kriegserfahrungen schildern. Eine ältere Frau erzählt vor einer Baracke, in der sie ihren Enkeln den Tod ihrer Eltern mitteilen musste, die Opfer russischer Bombardierung wurden. Eine andere Frau erzählt von den ersten Kriegstagen und russischen Aufklärungstrupps. Obwohl sich in ihrem Dorf weder ukrainische Kämpfer versteckten noch Waffen befanden, wurde der Ort angegriffen.

Ferrara sieht man bei den Interviews zuweilen auch persönlich. Er stellt Fragen und lässt sich von Dolmetschern die Antworten übersetzen. Manchmal drängt er sich zu sehr ins Bild; dann wiederum spricht er nachvollziehbar von seiner Motivation, die Gründe für Hass und Eskalation zu verstehen; gleichzeitig erscheint er als ein gleichberechtigter Protagonist. Nicht alle seine stilistischen Mittel zeugen von Sensibilität. Zu den Aufnahmen getöteter Zivilisten, die auf der Straße liegen, ertönt aufdringliche (Trauer-)Musik, so als ob man den Schrecken der Bilder noch potenzieren müsste.

Viele der Interviewten hatten einfach Glück und kamen mit dem Leben davon, weil sie entweder zu jung waren, um als potenzielle Widerständler zu gelten, oder weil sie sich am richtigen Ort befanden, als andere starben. Ein Priester trug Zivilkleidung, als er auf russische Truppen traf. Hätte er sein Priestergewand getragen, hätten die Russen das ebenso als Affront angesehen wie eine ukrainische Flagge, erzählt er, und ihn erschossen. Ein Ex-Soldat verlor den Zeigefinger seiner rechten Hand und den gesamten linken Arm, überlebte aber trotz zusätzlicher Schusswunden in der Brust.

Den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj interviewt Ferrara ebenfalls. Dieser sucht zuweilen nach Worten, da die Konversation auf Englisch stattfindet. Er spricht von den Russen und ihrem Mangel an Weitblick, da sie nicht bedächten, welche Konsequenzen der Krieg für ihre eigenen Kinder haben werde. Putin dagegen könne nicht mit Nachbarn zusammenleben, die erfolgreicher seien als sein eigenes Volk.

Zwischen den Bildern aus der Ukraine wird immer wieder Patti Smith mit ihrem Sprechgesang eingeblendet. Letztlich offenbart ihre Performance aber nur die Ohnmacht von Kunst im Angesicht des Bösen. Sie kann Krieg nicht stoppen, sondern bestenfalls auf ihn aufmerksam machen, Menschen berühren und ihr Bewusstsein so schärfen, dass Leid und Zerstörung nicht in Vergessenheit geraten.