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Drama im Ersten über Liebe in Zeiten von Krankheit

Nach einem Schlaganfall ist Sabine pflegebedürftig, muss neu sprechen und laufen lernen. Eine große Belastung für ihre Ehe mit Stefan – zumal sich die beiden schon zuvor voneinander entfremdet hatten.

Es beginnt mit einer Gartenparty. Ein recht klassischer Beginn für TV-Dramen oder -Krimis: Gerne dient so ein anfängliches Fest dann als Fallhöhe generierende glückliche Folie, zeigt die (vermeintlich) heile Welt vor dem Schicksalsschlag oder dem Verbrechen. In dem Drama “Aus dem Leben”, das das Erste am Mittwoch, den 9. Oktober von 20.15 bis 21.45 Uhr ausstrahlt, dient diese Feier jedoch in ungleich interessanterer Hinsicht der Dramaturgie.

Immer wieder wird die klug entwickelte, Zuschauer-Erwartungen unterlaufende Handlung zurückspringen zu jenem Abend: Aber eben nicht als reine Illustrierung eines Gegenpols zur traurigen Gegenwart. Sondern um zu zeigen, dass die Dinge in Wahrheit weitaus komplizierter sind als in den besagten, sehr verbreiteten (Fernseh-)Erzählungen. Dass Glück und Unglück häufig auch schon vor einem einschneidenden Ereignis nebeneinander existieren – ebenso wie dies nach einer solchen Zäsur der Fall sein kann.

Im Fall des Ehepaares Schuster heißt diese Zäsur: Schlaganfall. Die Endfünfzigerin Sabine (Ann-Kathrin Kramer) kippt bei der Arbeit in der Schultheater-AG um. Sie hat noch Glück im Unglück, wird schnell ins Krankenhaus gebracht. Trotzdem ist sie halbseitig gelähmt, muss alles neu lernen, Sprechen, Gehen, Gegenstände halten. Die größten Hürden aber liegen im Emotionalen und Sozialen: Dass es in der Ehe von Sabine und Stefan (Harald Krassnitzer) schon vor der Krankheit kriselte, tritt nun umso offener zutage.

Silberhochzeit, 25 Jahre Ehe hatte man eingangs gefeiert. Während der nüchterne, aufs Arbeiten fokussierte Stefan zufrieden schien mit ihrem “kleinen”, von Routinen geprägten Leben, wünschte Sabine sich schon lange mehr, Abenteuer, Romantik, Neues. Gerade nachdem das einzige Kind, Annika (Leonie Brill), auf dem Absprung zum Studium nach Berlin war. Für Sabine ein Moment, um auch ein wenig über einen möglichen eigenen Neubeginn zu sinnieren…

Der Schlaganfall macht all dies zunichte, wirft Sabine und Stefan aufeinander zurück. Während sie sich resigniert vor der Welt zurückzieht, muss er zahlreiche neue Aufgaben übernehmen. Offen miteinander sprechen können sie erst, als ihre neue Pflegerin Iryna (Irina Potapenko) sie mehr oder weniger dazu zwingt. “Unsere Paartherapeutin” nennt Stefan sie scherzhaft, wie der Film überhaupt ein wenig selbstironisch mit dieser fast-zu-perfekten-um-wahr-zu-sein-Figur umgeht.

“Vertrauen und Zuversicht. Und natürlich eine Iryna im Haus!”, so formuliert die Pflegerin selbst die wichtigsten Zutaten für Sabines (und auch Stefans) Rückkehr ins Leben. Die gelegentliche Leichtigkeit tut dem Film gut, schmälert aber nicht die ernsthafte, teils schmerzhafte Auseinandersetzung mit dem Thema Schlaganfall und seinen – körperlichen, seelischen wie sozialen – Folgen.

Ein großes Pfund dabei sind die von Autor Johann Bunners gut entworfenen Figuren sowie deren tolle Darsteller. Die echte Nähe der zentralen Schauspieler – Kramer und Krassnitzer sind verheiratet – tut dem Film gut. Beide überzeugen, wobei Kramer natürlich den schwierigeren Part zu spielen hat: in körperlicher Hinsicht (wobei auch die Maske ganze Arbeit leistet) wie auch mentaler.

Sabine, eine vor dem Hirnschlag tatkräftige Person, ist voller Selbstmitleid, lässt sich gehen, muss lernen, Hilfe anzunehmen. Schließlich erwacht ihr Tatendrang, fordert sie Selbstbestimmung ein, muss ihre Lebenslügen überdenken – eine vielschichtige Person, die Ann-Kathrin Kramer zu einer runden Figur formt. Aber auch Stefan ist in sich stimmig; ebenso wie Tochter Annika, die eine eigene Geschichte haben, mehr als eine dramaturgische Funktion sein darf.

Sorgfältig, subtil und sensibel hat Regisseurin Katrin Schmidt den schwierigen Stoff in Szene gesetzt. Elegant lässt sie Themen anklingen wie den grassierenden Pflegenotstand, das Fernbleiben der verunsicherten Freunde, die von der Mutter auf die Tochter projizierten Träume. Ein sehenswerter Film – und zugleich die unbedingte Aufforderung, mit dem eigenen Leben nicht auf morgen zu warten.