Technologie der Künstlichen Intelligenz wird auch eingesetzt, wenn Menschen um Verstorbene trauern. Sie kann Tote zumindest virtuell wieder zum Leben erwecken. Eine Dokumentation beleuchtet die fragwürdige Entwicklung.
Künstliche Intelligenz (KI), die den Menschen immer mehr Entscheidungen und Aufgaben abnimmt, richtet sich an statistisch-numerischen Kriterien aus. Was entsteht, ist nichts Neues, sondern etwas, das im Mainstream als Dienstleistung gefallen kann – etwa Bild- und Textgeneratoren wie ChatGPT. Oder aber Apps, die mit Hilfe von KI tote Menschen in der digitalen Welt neu zum Leben erwecken.
Dank einer nie da gewesenen Menge an persönlichen Daten und der Fortschritte beim maschinellen Lernen können Programme wie “Project December” oder “You, Only Virtual” (YOV) mit der Originalstimme, spezifischen Redeweisen und biografischen Informationen realer Menschen gefüttert werden, bis sie diese simulieren können – auch über deren Tod hinaus. Die Einsatzmöglichkeiten reichen von textbasierten Gesprächen am Bildschirm bis hin zu virtuellen Treffen.
Wo eine Nachfrage existiert, findet sich bald auch eine Industrie, die diesen Bedürfnissen nachkommt. Vor allem in den USA und in Asien haben sich unzählige Start-ups auf ethisch heikle Produkte spezialisiert; inzwischen sind aber auch globale Player wie Amazon und Microsoft in das Geschäft eingestiegen. Dass die Grundlage des Geschäfts mit der Trauer und dem Andenken an Verstorbene darauf beruht, aus den Gefühlen trauernder Hinterbliebener Kapital zu schlagen, stört die Anbieter offenbar nicht.
In der Dokumentation “Eternal You”, die Arte am 16. April um 22.45 Uhr zeigt, haben die Dokumentaristen Hans Block und Moritz Riesewieck Erfahrungen von Nutzern solcher Programme gesammelt, die etwas Ähnliches versprechen wie Religionen: die Wiedergeburt an einem anderen Ort.
Das Spektrum der Möglichkeiten reicht von bewusster Selbsttäuschung zum Zweck einer besseren Trauerverarbeitung, wenn ein User etwa mit seiner verstorbenen Freundin chattet, bis zu einer koreanischen Mutter mit VR-Brille, die beinahe einen Nervenzusammenbruch erleidet, als sie auf den virtuellen Avatar ihrer Tochter trifft, die bei einem Unfall gestorben ist. Millionen Menschen haben ihr dabei zugeschaut, denn das “Wiedersehen” wurde 2020 in der Reality-TV-Show “Meeting You” übertragen.
Dass derartige Klone das menschliche Verhältnis zum Tod verändern, steht außer Frage. Das Geschäftsfeld wächst rasant. Zudem ist anzunehmen, dass die Technologie weiter perfektioniert wird. Die Regisseure fragen nach der Balance zwischen technischem Fortschritt und moralischer Verantwortung – und stellen die Akteure und ihre Motivationen vor. Egal, ob es der zynische, auf seinen Profit bedachte Entwickler ist, der stolz darauf ist, das Programm so gruselig wie möglich zu gestalten, oder die Trost und Erlösung suchende Familie eines Verstorbenen, der für die nachfolgenden Generationen “erlebbar” bleiben soll.
Eine andere junge Frau möchte die Bestätigung dafür finden, dass ihr Freund im Jenseits glücklich sei. Die KI orientiert sich in diesem Fall aber am schwarzen Humor des Toten und teilt der Hinterbliebenen auf die Frage, wo er sich gerade befinde, mit, dass er “in der Hölle” sei und sie als Geist verfolgen werde.
Entwickler Mark Sagar, Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens “Soul Machines”, verweist grinsend als nächste Entwicklungsstufe des “Todeskapitalismus” darauf, dass sich biologische Prozesse in nicht allzu ferner Zukunft ebenfalls simulieren lassen und damit etwas Lebensähnliches erschaffen werde. Das klingt hochgradig verstörend.
Der ewige Traum von der Unsterblichkeit rückt damit näher. Entsprechende finanzielle Ressourcen vorausgesetzt, könnte jeder zu Lebzeiten den eigenen Klon erstellen lassen und so auch nach dem Tod mit seinen Angehörigen in Verbindung bleiben. Die Anbieter von “Digital Afterlife”-Konzepten sind davon überzeugt, dass sie herkömmliche Todeskonzepte ablösen werden – und dass sich Vergänglichkeit dadurch überwinden lasse. Werkzeuge hierfür werden schon getestet, dank vieler Probanden, die sich und ihre Daten freiwillig zur Verfügung stellen.
Zu der ausgewogenen Inszenierung von “Eternal You”, wenn Drohnenbilder von Einfamilienhäusern und Friedhöfen für gedankliche Verschnaufpausen sorgt, gehört es auch, Skeptiker zu Wort kommen zu lassen. Die Technologie-Kritikerin Sara M. Watson mahnt: “Ich habe keine Kontrolle darüber, was aus mir wird. Werden Algorithmen entscheiden, wie wir uns weiterentwickeln? Und was ist, wenn unser digitales Selbst anderen Schaden zufügt?”
Die US-amerikanische Soziologin Sherry Turkle ist sicher, dass Menschen sich an KI-Simulationen zur Trauerbewältigung als eine moderne Form der Transzendenz gewöhnen werden. Sie glaubt aber auch, dass es darum gehen sollte, “wie wir uns besser von den Verstorbenen lösen können, nicht darum, so zu tun, als wären sie noch hier”.
Andere betonen die Notwendigkeit einer staatlichen Regulierung und die Auseinandersetzung damit, ob die neuen digitalen Trauerrituale den Verlust von Religion und eines funktionierenden Familienumfeldes lindern – oder nicht eher zusätzlich verstärken. Ein weiteres Problem ist die Unausgereiftheit vieler Programme, deren Auswirkungen auf die Nutzer nicht genügend erforscht werden; negative psychische Folgen werden dabei in Kauf genommen. Bei einer Anhörung des US-Senats 2023 über Sicherheitsfragen der KI bekundete selbst OpenAI-Gründer Sam Altman, dessen Start-up ChatGPT entwickelt hat, große Zweifel.
“Eternal You” ist ein bemerkenswerter Dokumentarfilm, der Aufnahmen der globalen Labore der Tech-Entwickler, Chat-Ausschnitte mit digitalen Un-Toten und virtuelle Abbilder der Avatare so zwischen die vielen Interviews montiert, dass die jeweiligen Argumentationsstränge nicht aus dem Blick geraten. Mit seiner atmosphärisch dichten Gestaltung zeichnet er eine unaufhaltsame Entwicklung in vielen Facetten nach und lädt dazu ein, nach Lösungen im Umfeld einer lukrativen Businessidee zu suchen, die sich wohl nur durch staatliche Eingriffe kontrollieren lässt.