Fliegen ist eine schmutzige Angelegenheit – umwelttechnisch betrachtet. Daran wird sich bis zum Start der Reisesaison nichts ändern. Allerdings können sich Reisende bei der Buchung der Sommerferien freiwillig für eine CO2-Kompensation entscheiden. Einfach das entsprechende Häkchen anklicken, und das Klimagewissen kann sich beruhigen.
Mit dem kleinen Obulus, der dann zu zahlen ist, sollen Klimaschutzprojekte finanziert werden – im Gegenzug für den umweltschädlichen Transportweg. Allerdings steht diese Praxis in der Kritik; von modernem Ablasshandel ist bisweilen die Rede.
CO2-Kompensation: (K)ein billiger Ausweg
Der Vorwurf sei unbegründet, meint Dietrich Brockhagen. Der 56-Jährige ist Geschäftsführer einer jener gemeinnützigen Organisationen, die Unternehmen CO2-Kompensation verkaufen. “Aber nicht jedem”, betont Brockhagen. “Wir arbeiten nicht mit Unternehmen zusammen, die nur einen billigen Ausweg suchen, um selbst kein CO2 einsparen zu müssen.” Das heißt konkret, dass erst alle fossilen Energiequellen durch nachhaltige Alternativen ausgetauscht werden müssen – Reduzieren vor Kompensieren. Das Kompensationshäkchen anzuklicken sei sinnvoll, aber nur dann, wenn Reduktion subjektiv nicht möglich sei, so der Experte.
Bei Flügen stünden die nötigen technische Entwicklungen wie wasserstoffbasierte Kraftstoffe noch am Anfang. Deswegen sei es sinnvoll zu kompensieren. Für eine interkontinentale Flugreise gebe es zudem kaum Alternativen, erklärt Brockhagen. Er selbst sei 1997 aus Überzeugung mit der Bahn von Deutschland aus ins japanische Kyoto zur UN-Klimakonferenz gefahren – elf Tage habe das gedauert, erinnert sich Brockhagen. “Aber die Alltagsrealität ist: Die wenigsten Menschen haben heutzutage die Zeit oder das Geld, statt einem Langstreckenflug die Bahn zu nehmen oder für eine Atlantiküberquerung an Bord eines Schiffes zu gehen.”
Kritischer sieht Lena Partzsch die Angelegenheit – allerdings weniger die Kompensation selbst als die Freiwilligkeit dabei. Partzsch ist Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Umwelt- und Klimapolitik an der Freien Universität Berlin. Die Erfahrung zeigt nach ihren Worten, dass die wenigsten Verbraucherinnen und Verbraucher bereit seien, freiwillig etwas für das Klima zu tun. Beispielsweise würden nur rund 15 Prozent zertifizierten Fair-Trade-Kaffee kaufen.
Bislang noch “Wildwuchs” im Tourismussektor
Problematisch sei auch, dass im privaten Tourismussektor in Sachen Kompensation noch “völliger Wildwuchs” herrsche. Der berechnete Pro-Kopf-Ausstoß bei einem Flug basiere auf Durchschnittswerten und sei lediglich eine grobe Schätzung, kritisiert Partzsch. Deshalb sei die CO2-Kompensation beim Fliegen nicht mehr als ein symbolischer Beitrag zum Umweltschutz gegenüber der verursachten Verschmutzung. Bei den Kompensationsmaßnahmen gebe es darüber hinaus sehr große Qualitätsunterschiede.
Das bestätigt atmosfair-Geschäftsführer Brockhagen: “Wir wissen heute, dass Aufforstungsprojekte im Regenwald meist nicht funktionieren.” Zudem gebe es auch schwarze Schafe in der Branche, die das ganze Vorhaben in Verruf brächten. Orientierungshilfen in Sachen Vertrauenswürdigkeit bieten übrigens unabhängige Tests zur Kompensation, etwa von der Stiftung Warentest.
Trotz allem sei das Kompensationshäkchen aber sinnvoll, weil viele Menschen so erst auf das Problem gestoßen würden, sagt Politikwissenschaftlerin Partzsch. Anstatt auf das klimatische Wohlwollen von Individuen zu setzen, wünscht sie sich aber, dass Unternehmen wie auch Verbraucher stärker in die Pflicht genommen würden.
Zusätzliche CO2-Steuer lehnen Flugpassagiere ab
In Deutschland macht nach Angaben des Portals Statista erst rund ein Fünftel der Passagiere Gebrauch von dem Angebot, freiwillig CO2 zu kompensieren. Eine zusätzliche CO2-Steuer auf Flugreisen lehnen die meisten Kundinnen und Kunden ab. Eine Umfrage des US-Instituts McKinsey zeigt: Global betrachtet sind 40 Prozent der Flugpassagiere bereit, mehr für ein etwas klimaverträglicheres Fliegen zu bezahlen. Allerdings variieren die Zahlen stark zwischen Ländern und Kundensegmenten. So ist diese Bereitschaft bei etwa 60 Prozent der Reisenden in Spanien vorzufinden, bei neun Prozent in Indien und zwei Prozent in Japan.