Martin Taegener ist ehrenamtlicher Flughafenseelsorger am Flughafen Berlin-TegelVon Uli Schulte Döinghaus
Der Passagier ist gestrandet. Vor rund einer Stunde landete der Ukrainer, aus Thailand angereist, in Berlin-Tegel. Jetzt will er versuchen, zu seinen Verwandten nach Dresden zu kommen. Aber für Tickets fehle ihm das Geld, sagt er. Martin Taegener (72) in seiner violetten Weste, das Haar so weiß wie der Schnurrbart, hört dem Ukrainer aufmerksam zu. Intensiver Augenkontakt. Manchmal „landen“ solche Passagiere bei ihm als ehrenamtlicher Flughafenseelsorger in Berlin-Tegel. Oft drückt er ihnen nach einem kurzen aufmunternden Gespräch ein Nahverkehrsticket in die Hand und verweist sie an die Profis, den Sozialarbeiter vor Ort oder gleich die Bahnhofsmission. Es sind solche Situationen, in denen der Flughafenseelsorger sich selbst vor zu viel Engagement schützen muss. Sonst wäre er fachlich überfordert und seinem „gestrandeten“ Besucher wäre damit nicht gedient. Flughafenseelsorger wie Taegener sind die geborenen Gesprächspartner, wenn es um Erstkontakte mit Hilfesuchenden geht. Alles andere ist Sache des psycho-sozialen Hilfesystems. Bis zu seiner Pensionierung vor acht Jahren war Martin Taegener ein Karrierejurist, zuletzt als Vizepräsident des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg in Cottbus. „Danach“, sagt er, „wollte ich den Menschen von gleich zu gleich begegnen, ihnen nahe sein.“ Er absolvierte eine Ausbildung als Flughafenseelsorger, lernte dies über psychische Erkrankungen und jenes über Gesprächsanbahnung und -führung. „Dazu waren die Rollenspiele auch zu ,Small talks’ sehr gut geeignet“, so Taegener.Denn: Flughafenseelsorger müssen aktiv sein. Meist liegt es an ihnen, verirrte, verwirrte und ratlose Menschen wahr- und einen Gesprächsfaden aufzunehmen. Ehrenamtliche wie er wissen an ihrem Dienst besonders zu schätzen, dass sie für ihre Arbeit selbst verantwortlich sind, für gute Gespräche ebenso wie für solche, die vielleicht gescheitert sind. Es kommt vor, dass muslimische Reisende ihn bitten, ihre Gebetsteppiche im winzigen Büro der Flughafenseelsorge ausbreiten zu dürfen. „Gerne, seien Sie herzlich willkommen!“ Taegener tut meist dienstags Dienst in Tegel. Seine seelsorglichen Alltagsgespräche haben höchst selten mit Religiösität, Spiritualität oder Glaubensfragen zu tun. Sondern häufiger mit Angst, Trauer, Sorge, Krise, Ungewissheit, Familie oder scheinbarer Ausweglosigkeit. Taegener erzählt von solchen Situationen im Ankunftsbereich, wo Angehörige auf schwer erkrankte, durch Unfall verletzte oder sogar im Urlaub verwitwete Familienangehörige warten. Ihnen tut ein warmherziges Gespräch gut, Aufmerksamkeit, Trost und Zuwendung. Sie wissen es zu schätzen, dass ein Seelsorger in der Nähe ist – nach Konfessionen oder Religionszugehörigkeit hat noch nie jemand gefragt. Taegener ist Katholik, engagiert in seiner Gemeinde in Zehlendorf. Als ehrenamtlicher Flughafenseelsorger ist er eingebunden in eine ökumenische Organisation, die vom katholischen Jesuitenpater Wolfgang Felber und von der evangelischen Pfarrerin Sabine Röhm geleitet wird. Sie kümmern sich um Rekrutierung neuer Ehrenamtlicher, um ihre Aus- und Fortbildung, um Supervision und Behördenkram. Damit halten sie den freiwilligen Flughafenseelsorgern den Rücken frei. Ihr Engagement wird besonders bei den über 6000 Beschäftigten im Flughafen Berlin-Tegel geschätzt. „Zu 80 Prozent verstehe ich mich als Betriebsseelsorger“, sagt Taegener, der voll des Lobes ist für die Solidarität der Frauen und Männer, die in Verkaufsstellen arbeiten, für Sicherheit sorgen oder zum Bodenpersonal gehören.