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Die Zeit zum Gendern ist reif

Gabriele Diewald, Professorin für Germanistische Linguistik, ist genervt von Halbwahrheiten. In ihrem Duden-Buch „Richtig gendern“ erklärt sie den Umgang mit geschlechtergerechter Sprache. Markus Kowalski wollte von ihr wissen, wieso sich viele so schwer mit dem Gendern tun. Welche wunden Punkte berühren das Binnen-I und das Gendersternchen?

Am 8. Juni beschäftigt sich der Rat für deutsche Rechtschreibung mit „geschlechtergerechter Sprache“. Ein neues Duden-Buch „Richtig gendern“ erklärt den Umgang mit dem Thema. Die Autorin Gabriele Diewald ist Professorin für Germanistische Linguistik an der Leibniz Universität Hannover. Im Interview erklärt sie, wo sie noch Nachholbedarf sieht.

Von Markus Kowalski Frau Diewald, seit den Achtzigerjahren wird schon gegendert, wieso kommt jetzt erst ein Buch vom Duden dazu heraus? Das habe ich mich auch immer gefragt. Ich hatte das Buch schon länger vorgeschlagen, offenbar ist jetzt erst die Zeit dafür reif. Die Diskussionen um die gendergerechte Sprache gibt es tatsächlich so lange, seit den Achtzigerjahren gibt es auch erste Studien und gesetzliche Richtlinien. Es ist aber verblüffend, wie wirkungslos auch EU-Richtlinien bislang waren. Sie waren gut gemeint, haben sich aber mit ihren Vorschlägen nicht durchgesetzt. Ich habe das Buch jetzt geschrieben, weil es mich genervt hat, wie viele Halbwahr – heiten es gibt, mit pseudolinguistischen Argumentationen. Da werden viele Abwehrgefechte geführt. Wieso tun sich viele immer noch so schwer damit zu gendern? Sprache ist ein sensibles Thema. Wenn Leute das Gefühl haben, dass sie da reglementiert werden, ist das schlecht. Die meisten Menschen haben auch das Gefühl, Sprache solle sich nicht ändern, obwohl sie das ständig tut, das merken sie nur nicht. Das Gendern berührt mehrere wunde Punkte: Zum einen sollen wir unsere Sprache ändern, also kognitive Kategorien aufgeben. Zum anderen geht es um Geschlecht, also patriarchale Machtstrukturen, das ist unabhängig von Sprache ein riesiges Thema. Da gibt es einfach Machtinteressen. Die Kundenrezensionen zu dem Buch „Richtig gendern“ bei Amazon zielen fast nie auf Inhaltliches, sondern immer auf die Ängste, dass Geschlechterstereotype durch anderen Sprachgebrauch aufgegeben oder aufgelöst werden. Das sagt schon viel. Aktuell wird diskutiert, ob das Gendersternchen in den Duden aufgenommen werden soll. Wie stehen Sie dazu? Ich halte das für ein nachgeordnetes Problem. Ob etwas offiziell abgesegnet ist oder nicht oder welche Art von Rechtschreibung die wirklich korrekte ist, interessiert mich gar nicht so arg. Seit der Rechtschreibreform haben wir sowieso mehr Varianten der Schreibung. Die Frage ist, was das Sternchen bedeuten soll. Die Befürworter*innen sollten deutlicher machen, was damit ausgedrückt werden soll. Ich bin ja eine Verfechterin des Binnen-I. Das ist absolut niedrigschwellig, weit verbreitet, und es wäre kein extra Zeichen im Alphabet. Meine Kollegin findet, dass das Binnen-I wie zum Beispiel in LeserInnen ein Phallussymbol ist und daher männliche Dominanz reproduziere. (lacht) Man kann alles semantisieren. Aber um zu zeigen, dass es nicht ein Wort, sondern eine Zusammensetzung ist, ist das Binnen-I gut geeignet. So wie bei „DB“, was man einfach in „Deutsche Bahn“ auflösen kann. In dieser Tradition steht das große I, das sparsam und gut lesbar ist. Das ist vom Prinzip her nichts Neues im Sprachgebrauch. Ich denke auch, dass man damit alle Menschen meinen kann, also dass es maximal inklusiv ist. Das große „I“ könnte man auch als Symbol der Gesamtheit interpretieren. Was ist Ihre Utopie? Soll irgendwann mal in allen sprachlichen Äußerungen gegendert werden? Ich wäre die letzte, die irgendwann Menschen vorschreiben würde, wie sie etwas sagen sollen. Das soll sich demokratisch entscheiden. Ich bin der Meinung, dass eine Gesellschaft in ihren offiziellen Texten darauf achten soll, die Gleichberechtigung umzusetzen, die sie sich zum Ziel gesetzt hat. Das machen zum Beispiel Universitäten bereits. Aber wieso sollte man denn in der allgemeinen Kommunikation Vorschriften machen? Also ganz im Ernst. Ich rede nicht von Vorschriften. Sondern von einem Idealzustand der Gleichberechtigung. Es sollen die geschlechtlichen Aspekte thematisiert werden, wenn es wichtig ist. Und das ist es meistens in offiziellen Dokumenten. Da darf männlich nicht die Norm sein. Gerade in den Medien hat sich Gendern noch nicht durch – gesetzt. Obwohl diesen eine sprachliche Vorbildfunktion zugeschrieben wird. Gibt es hier Nachholbedarf? Ich finde, dass die Medien da progressiver sein könnten. Die ziehen sich in die bequeme Ecke zurück und sagen: Wir warten mal, was da kommt. Und machen alles wie bisher. Das geht nicht. Gabriele Diewald, Anja Steinhauer, Richtig gendern. Wie Sie angemessen und verständlich schreiben, Dudenverlag, Berlin 2017, 120 Seiten, 12 Euro