Ein bedingungsloses Grundeinkommen für jeden oder ein Bürgergeld, wie es bei den Koalitionsverhandlungen im Gespräch war – ist das die Lösung für Langzeitarbeitslose und eine Gesellschaft mit weniger werdenden Jobs?
VonProfessor Gerhard Wegner, Pastor und Leiter des Sozialwissenschaftlichen Institutes der EKD.
Es ist ein alter Traum der Menschen: genügend Geld zu haben, ohne dafür arbeiten zu müssen. Märchen sind voll davon. Aber nun soll es kein Wunschtraum bleiben, sondern tatsächlich Realität werden: Bedingungsloses Grundeinkommen nennt es sich. 1 000 Euro oder mehr für jeden im Monat von Geburt an, das ist die Vorstellung. Waren es früher nur ein paar Idealisten, die sich dafür einsetzten, so sind es nun leibhaftige Wirtschaftsbosse, Joe Kaeser von Siemens allen voran.
Ihr Motiv ist nur auf den ersten Blick menschenfreundlich. Sie argumentieren, dass sie aufgrund der durch Digitalisierung ermöglichten Rationalisierungen viele Arbeitsplätze, gerade für weniger Qualifizierte, schon in Kürze abschaffen müssten. Dazu zwänge sie der Wettbewerb. Und dann wäre doch für denjenigen, die nicht mehr mithalten können, dieses Grundeinkommen ein schöner Trost! Dann müssten sie nicht in die Tretmühle von Hartz IV und sich demütigen lassen, sondern hätten 1 000 Euro im Monat sicher.
In Finnland probiert man solch ein System jetzt aus – allerdings mit dem erklärten Ziel, die bisherigen Sozialkosten zu senken. Andere, so Thomas Straubhaar, einer derjenigen, die schon immer alles allein dem freien Wettbewerb aussetzen wollten, sagen gleich ganz offen, dass es ihnen um die Abschaffung des Sozialstaats geht, der angeblich die Menschen versklave. Und das ist in der Tat der Kern des Ganzen: Es geht um ein völlig anderes Sozialsystem, als wir es bisher mit dem Sozialstaat haben. Denn zusammen geht beides nicht: 1 000 Euro für jeden, jeden Monat, würde finanziell keinen Spielraum mehr für sozialstaatliche Leistungen lassen. Arbeitsagenturen, Sozialämter, Jugendämter, Rentenversicherungen und so weiter – der gesamte Bereich einer hochentwickelten sozialen Fürsorge, der in Deutschland über mehr als hundert Jahre erkämpft worden ist, könnte dann nur noch privat finanziert existieren. Du brauchst eine Arbeitsberatung? Kannst du haben, kostet nun aber. Die bisher vorhandene Verpflichtung des Staates, sich um soziale Notlagen aktiv zu kümmern und für soziale Sicherheit gezielt zu sorgen, würde entfallen. Nun hat ja jeder sein Geld und muss nun, um jeden Preis, für sich selber sorgen.
Wer das auch mit 1 000 Euro in der Tasche nicht kann, der hat eben Pech gehabt. Und das werden nicht wenige sein, weil das Geld oft gar nicht das Hauptproblem ist. Meint jemand wirklich, einem Obdachlosen wäre geholfen, wenn man ihm 1 000 Euro gebe – ihn aber sonst allein lässt? Und wie soll dann eine gute Berufsausbildung gelingen bei denen, die heute schon Hartz IV als Berufsziel angeben? 1 000 Euro auf die Hand plus Schwarzarbeit wird zum neuen Lifestyle-Modell. Für diejenigen aus den besser gestellten Familien mag das dann alles anders sein. Sie stecken das Geld ein und engagieren sich in attraktiven Jobs. Eine soziale Verpflichtung brauchen sie für sich selbst nicht mehr anzuerkennen, denn jeder hat ja nun seine Chance. Eine solidarische Gesellschaft ist das ganz gewiss nicht.
Nein, das kann nicht der Weg sein. Wir müssen nicht das gesellschaftliche Vermögen pauschal verteilen, schon gar nicht an die jenigen, die es gar nicht brauchen. Es muss dabei bleiben, dass der Sozialstaat umverteilt: von den Wohlhabenden zu denen, die Unterstützung brauchen. Das ist gelebte Solidarität!
Und vor allem muss das Geld institutionell eingesetzt werden: in bessere Bildungseinrichtungen, Kindergärten, in sozial inklusive Stadtteile, in eine freundlich-aktivierende Betreuung von Arbeitslosen und deren wirkliche Unterstützung und in armutsfeste Renten, um nur einige Baustellen zu nennen.
Zu behaupten, dass man all diese Probleme auf einen Schlag mit dem bedingungslosen Grundeinkommen lösen könnte, ist mehr als naiv: Es ist verantwortungslos! Tatsächlich wäre es für viele Menschen eine Herdprämie: etwas Geld, um sich mit ihrer ohnehin schwierigen Situation endgültig abzufinden. Und wer hier helfen wollte, der kann das nur auf eigene Rechnung tun.