Von Bernhard Schmidt
Man weiß es: Der Apostel Paulus, dieser gewaltige Religionsstifter, nach dem unzählige Kirchen benannt sind, auch so kolossale wie die St.-Pauls-Cathedral in London, war kein begnadeter Prediger, kein Menschenfischer, kein strahlender Held. Dieser Apostel brachte die Lehre und das Leben Jesu gleichsam in ein theologisches System und trug die Botschaft von Kreuz und Auferstehung in die antike Welt. Doch seine Auftritte sollen dürftig gewesen sein, und er musste sich immer wieder fragen lassen, wie er, der Bote, zu seiner Botschaft passt. Paulus muss sich rechtfertigen. Im zweiten Korintherbrief fährt er schwerstes theologisches Geschütz auf und schreibt: „Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.“ Paulus kommt in diesem überladenen Vers wohl auf seine Bekehrung zu sprechen, die wir narrativ ausgeschmückt auch in der Apostelgeschichte haben, im 9. Kapitel. Hier setzt er sie mit nichts Geringerem als mit dem Schöpfungsakt gleich. So wie der Schöpfer das Sein aus dem Nichts, das Licht aus der Finsternis schuf, so hat er im einst finsteren Herzen des Paulus (und seiner Mitarbeiter – so ist wohl der Plural zu verstehen) ein Licht angezündet, welches ihn von innen erleuchtet hat. Und welches durch sein unermüdliches Wirken zur Erleuchtung von Juden und Heiden geführt hat, so dass diese zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes gekommen sind. Doch diese Erkenntnis – und hier steht im griechischen Text das geheimnisvolle Wort „gnosis“ – richtet sich auf nichts äußerlich Herrliches oder Großartiges, sondern schlicht und ergreifend auf das Angesicht Jesu Christi. Paulus will sagen: Wer Christus sieht, der sieht Gott; auf seinem Angesicht erscheint die ganze Herrlichkeit Gottes. Nicht der Bote ist herrlich, sondern seine Botschaft. Aber auch diese Herrlichkeit (doxa) ist paradox und anders herrlich.
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Predigttext für den Letzten Sonntag nach Epiphanias: 2. Korinther 4,6–10