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Die Deutschen essen, rauchen und trinken zu viel

Im Vergleich mit zahlreichen europäischen Ländern macht Deutschland wenig bei der Prävention. Dabei ist sie aus Expertensicht wirkungsvoll. Die Folgen seien spürbar: Die Lebenserwartung ist unterdurchschnittlich.

Deutschland schneidet bei der Prävention chronischer Erkrankungen im europäischen Vergleich miserabel ab. Unter 18 untersuchten Staaten in Nord- und Zentraleuropa belegt die Bundesrepublik den vorletzten Platz. Zu diesem Ergebnis kommt der am Donnerstag veröffentlichte erste Public-Health-Index des AOK-Bundesverbandes in Kooperation mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum.

Untersucht wurde der Umsetzungsstand wissenschaftlich empfohlener Präventionsmaßnahmen. Anstoß für die Untersuchung ist die in Deutschland mittlerweile unterdurchschnittliche Lebenserwartung, aber auch die steigende Zahl an Herz-Kreislauf- oder Krebserkrankungen. In der Einzelbetrachtung von vier untersuchten Handlungsfeldern landet Deutschland bei Tabak, Alkohol und Ernährung jeweils auf den letzten Rängen, bei Bewegung im unteren Mittelfeld.

Spitzenreiter bei Präventionsmaßnahmen sind dem Ranking zufolge Großbritannien, Finnland und Irland, dicht gefolgt von Norwegen und Frankreich. In diesen Ländern würden besonders viele wissenschaftlich empfohlene Maßnahmen zur Förderung gesunder Lebensweisen umgesetzt. Rauchen und Alkoholkonsum würden möglichst unattraktiv gemacht. Beispiele seien Hersteller-Abgaben für gezuckerte Softdrinks, gesunde Ernährungsumgebungen in Schulen, Werbeeinschränkungen oder höhere Preise für Tabak und Alkohol.

Obwohl Deutschland pro Kopf die höchsten Gesundheitsausgaben habe, sei Deutschland bei der Lebenserwartung im europäischen Vergleich Schlusslicht, beklagte die AOK-Bundesvorsitzende Carola Reimann. Zudem gebe es unter jüngeren Erwachsenen mehr und früher chronische Erkrankungen. Treiber seien hier etwa Übergewicht, mangelnde Bewegung oder Alkohol. “Offensichtlich sind hohe Gesundheitsausgaben allein keine erfolgversprechende Garantie”, sagte Reimann. Es brauche eine gesunde Umgebung, um Präventionsangebote nachhaltig zu verankern.

Laut Oliver Huizinga, Abteilungsleiter Prävention im AOK-Bundesverband, ist es kein Widerspruch, dass Vorreiter-Länder aktuell noch schlechte Ergebnisse beim Gesundheitszustand aufweisen. Beispielsweise ist in Großbritannien Übergewicht weit verbreitet, auch unter Kindern. In Irland gibt es indes eine besonders hohe Krebsrate. Die aktuellen Zustände seien Anlass, nationale Präventionsmaßnahmen zu ergreifen, sagte Huizinga. Bis diese wirkten, dauere es aber; womöglich Jahre oder Jahrzehnte.

Im Bereich Alkoholkonsum setze Norwegen besonders gut Präventionsschritte um, sagte Huizinga. Alkohol sei teuer, dürfe nicht beworben werden, sei nur begrenzt verfügbar und dürfe erst ab 20 Jahren konsumiert werden. In Deutschland indes gebe es begleitetes Trinken bereits für 14-Jährige. Alkohol sei quasi rund um die Uhr verfügbar und günstig. “Deutschland ist das EU-Land mit dem erschwinglichsten Alkohol”, so Huizinga. Irland indes sei besonders gut bei der Rauchprävention. “Auch das berühmte Irish Pub ist rauchfrei – und in der Regel hat es den Lokalitäten nicht geschadet.”

Der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Krebsforschungszentrums, Michael Baumann, erinnerte an rund 500.000 Krebs-Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland. Davon seien nach heutigem Wissen 40 Prozent vollständig vermeidbar, vielleicht sogar noch mehr. Allein 20 Prozent seien Tumore, die mit dem Rauchen zusammenhingen.

“Wir sind alle selbst gefordert”, erinnerte Baumann – zumal viele Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht oder Alkoholkonsum bekannt seien. Es gebe aber auch präventive Maßnahmen wie Impfungen, die viel zu wenig genutzt würden. “Die HPV-Impfung wurde in Deutschland erfunden, aber wird dort am wenigsten eingesetzt”, klagt Baumann. Besonders bei Kindern und Jugendlichen brauche es ein besseres Wissen über Gesundheit und Prävention.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, forderte verpflichtende und bundesweite Präventionsaufklärung in Kitas und Schulen. Gesundheit als Schulfach müsse sich etablieren. Andernfalls drohe in Deutschland über längere Zeit eine Entwicklung wie in den USA, warnt Reinhardt: sinkende Lebenserwartung trotz medizinischen Fortschritts.