Natürlich sind die (insgesamt sieben) Ich-bin-Worte keine wissenschaftlichen Definitionen vom Wesen Jesu. Vielmehr sind es Schlüsselbilder, die sich beim Nachdenken immer wieder neu entfalten, Beschilderungen auf dem Weg, der zu Jesus führt. Das gilt auch für das Wort vom Weinstock. Alle Vergleiche aus diesen traditionellen und alltäglichen Lebensbereichen Weinberg, Weingarten, Weingärtner, Trauben, Kelter haben in Israel einen heilsgeschichtlichen Bezug. Darum ist es eine alte Erfahrung der praktischen Frömmigkeit bis heute, dass man für sich selbst diese Worte am ehesten über die Meditation erschließt, über das nachdenkliche Gebet. Gewiss entdeckt man beim Nachsinnen immer neue Facetten, andererseits muss man sich hüten, zu viel hineinzugeheimnissen. Weinstock, Rebe und Weingärtner sind hier nicht das Bild für Starrheit und Abhängigkeit, sondern „ein System einer lebendigen, wachsenden, funktionierenden Einheit“. Die „Rebe“ etwa behält in diesem Organismus auch durchaus ihre Eigenverantwortung!
Die Griechen kannten die Goldene Regel als „ich tue jedem nur das, was ich mir von ihm antun lasse“. Für sie ist das Gebot der aktiven Nächstenliebe daher neu, vor allem weil sie mit der Gottesliebe verbunden ist (14,23). In Vers 15,12 wird sie als „das“ Gebot vorgestellt – als „neue Chance“, nicht als „neuer Befehl“ oder gar „neues Verbot“ Jesu. Während die „regula aurea“ nur das nötigste Respektieren empfiehlt, etwa auch in der Tendenz, den anderen einfach in Ruhe zu lassen oder eben sich selbst, geht es Jesus um Zu-Wendung zum Nächsten: Ich soll den Mitmenschen in seinem Wert erkennen und ihn als Mitgeschöpf Gottes behandeln: „lieben“. Das Griechische nutzt da das Wort „agape“, das den erotischen Aspekt ausblendet. Nächstenliebe ist vielmehr das ganz praktische Verwirklichen des Evangeliums mit den Händen.
„In der Welt habt ihr Angst!“(16,33) ist ein Satz, der zu den bekanntesten und am meisten „benutzten“ Jesusworten zählt. Angst ist nicht Furcht, sondern meint Drangsal, Bedrängnis, alles, was mich drückt oder in die ausweglose Enge treibt. Angst beklemmt, fesselt und lähmt, nimmt den Atem, nimmt das Leben. Es heißt hier nicht, dass Jesus die Seinen von aller Angst befreit, sondern vielmehr: Ich habe die (gefallene und zerstörte, gottlose und menschenfeindliche) Welt überwunden. Er hat also den Grund der Angst beseitigt. Das ist „schon jetzt“ Wirklichkeit, auch wenn die Vollendung in Herrlichkeit „noch nicht“ vollzogen ist.
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Woche vom 6. bis 12. März Sonntag: Psalm 132 Montag: Johannes 15,1-8 Dienstag: Johannes 15,9-17 Mittwoch: Johannes 15,18-16,4 Donnerstag: Johannes 16,5-15 Freitag: Johannes 16,16-24 Samstag: Johannes 16,25-33