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Die Bibel hat doch nicht immer recht

In seinem Buch „Warum die Arche nie gefunden wird“ geht es dem US-Archäologen Eric Cline nicht um Besserwisserei oder um eine Attacke auf die Religion. Er wendet sich vielmehr gegen den politischen Missbrauch der Bibel

Die Suche nach der Arche Noah? Aussichtslos. Joshuas Attacke auf Jericho? Ein Mythos. Die Zehn Gebote? Hatten historische Vorläufer. Und der Exodus des Volkes Israel aus Ägypten? Hat so wohl nie stattgefunden.

Höchste Zeit für professionelle Fachleute

In seinem jetzt auf Deutsch erschienenem Buch „Warum die Arche nie gefunden wird“ nimmt der renommierte US-Archäologe Eric Cline beliebte Erzählungen aus der Bibel unter die Lupe. „In der Bibel sind Historisches, Theologisches, Mystisches und Belegbares ineinander verflochten – oft in einem Satz“, fasst er seine spannende Forschungsreise zusammen. Und weist damit Interpretationen frei nach dem Bestseller „Und die Bibel hat doch Recht“ zurück.
Cline, Direktor des Archäologischen Instituts an der George Washington Universität, geht es nicht um Besserwisserei oder eine Attacke auf Religion. Er wendet sich aber gegen einen politischen Missbrauch der Bibel. Und er wehrt sich gegen selbst ernannte Experten, die mit Hilfe dicker Schlagzeilen behaupten, sie hätten die Arche Noah am Berg Ararat entdeckt oder die verlorene Bundeslade wiedergefunden.
„Es ist höchste Zeit für professionelle Archäologen, Althistoriker und etablierte Bibelkundler, ihr von Laien und Pseudowissenschaftlern besetztes Terrain zurückzuerobern“, so sein Appell. Die Bibel müsse wie jede andere antike Quelle behandelt werden: als ein Text, der abgeklopft, analysiert und „regelrecht ausgewrungen werden muss“. Die Forschung sei sich weitgehend einig, dass das Alte Testament aus vielerlei Quellen zusammengefügt wurde, von denen „die ältesten auf das 9. oder 10. und die jüngsten auf das 6. oder 5. Jahrhundert vor Christus zurückgehen“, schreibt Cline.
Auch die heutige Theologie sieht das ähnlich. So sind Jahrhunderte ältere sumerische oder babylonische Versionen der Geschichte über die Arche Noah ins Alte Testament eingeflossen – mit erstaunlichen Übereinstimmungen, aber auch vielsagenden Unterschieden.
Typisch für die Bibel seien die moralischen Wendungen, die den ursprünglichen Geschichten hinzugefügt wurden: Im Alten Testament schickt Gott die Sintflut, weil er die verdorbene Menschheit bestrafen will. Die ältere babylonische Version begründet die Flut anders: Gott war empört, weil er wegen des Geschwätzes der Menschen nicht schlafen konnte.
Einen historischen Kern billigt Cline der Erzählung vom Turmbau von Babel zu. Die biblische Beschreibung passe zu archäologischen Überresten von religiösen Bauten in Babylon, Uruk und Ur. „Gut möglich, dass die Geschichte ursprünglich erfunden wurde, um zu erklären, weshalb es so viele unterschiedliche Sprachen gab“, schreibt der Archäologe. Auch hier habe die Bibel eine moralische Folgerung gezogen: Ihr gehe es darum, die Überheblichkeit der Menschheit zu verurteilen.
Religiös und politisch heikel sind Clines Anfragen an die Erzählungen vom Exodus Israels und von Josuas Heldentaten – schließlich zählen sie zu den Gründungsmythen des Staates Israel. Widersprüche sieht der Archäologe schon bei den biblischen Datierungen und Zahlen. Dass wirklich „sechshunderttausend Mann zu Fuß“ Ägypten verließen, sei unvorstellbar. Insgesamt wären dann mitsamt Frauen und Kindern etwa 2,5 Millionen Menschen 40 Jahre lang durch die Wüste gezogen.
Der Archäologe diskutiert mehrere Möglichkeiten, wie der Exodus abgelaufen sein könnte. Denkbar sei etwa, dass der Exodus eher ein Prozess war, der sich über Jahrhunderte erstreckte. Möglich auch, dass der Auszug aus Ägypten von späteren Bibel-Autoren während des babylonischen Exils erfunden wurde. Archäologische Hinweise jedenfalls fänden sich bisher nicht.

Kritische Anfragen an einige Geschichten der Bibel

Ähnliche Anfragen gibt es auch an die Geschichte von der Eroberung Jerichos und Kanaans: Archäologen hätten nachgewiesen, dass „die Städte, von denen die Bibel sagt, sie seien von den vordringenden Israeliten zerstört worden, zu jener Zeit entweder nicht zerstört wurden oder gar nicht bewohnt waren, während eine Reihe anderer Stätten, die damals zerstört wurden, in der Bibel gar nicht vorkommt“, fasst er zusammen. „Die Daten, über die wir momentan verfügen, lassen die biblische Darstellung der israelitischen Eroberung von Kanaan nicht glaubwürdig erscheinen.“

 Buchhinweis: Eric H. Cline: Warum die Arche nie gefunden wird. Biblische Geschichten archäologisch entschlüsselt. Verlag Konrad Theiss, 308 Seiten, 24,95 Euro.

Eric H. Cline war mit seinem Buch „1177 v. Chr.“ bereits für den Pulitzer-Preis vorgeschlagen und hat mit seinem Werk den ersten Preis der American School of Oriental Research gewonnen. Cline ist Professor für Klassik und Anthropologie und Direktor des Archäologischen Instituts an der George Washington Universität.