Im Mai erhielt Meryl Streep in Cannes die Goldene Ehrenpalme für ihr Lebenswerk, eine hoch angesehene Auszeichnung. „Ich dachte, meine Karriere sei vorbei. Und der einzige Grund, warum ich heute hier bin, sind die sehr begabten Künstler, mit denen ich zusammengearbeitet habe“, sagte sie in ihrer Dankesrede. Bescheidenheit hat Streep schon immer begleitet. Und ihre Karriere ist mitnichten zu Ende, so beeindruckte sie jüngst in der TV-Serie „Murders in the Building“. Am 22. Juni wird der US-Star, den die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ einmal als „schauspielerisches Wunder“ bezeichnete, 75 Jahre alt.
Meryl Streep, schlank, silberblond, mit fröhlich-femininer Ausstrahlung, steht zu ihrem Alter. Von kosmetischen Eingriffen halte sie nichts, sagte sie einmal in einem Interview. Die würden nur die Gesichtszüge versteinern. Als Mary Louise Streep kam sie am 22. Juni 1949 in der Kleinstadt Summit im US-Bundesstaat New Jersey zur Welt, ihre Mutter war Grafikerin, ihr Vater Pharma-Manager. Meryls Ururgroßeltern, Gottfried und Rosina Streeb, waren einst aus Baden-Württemberg eingewandert.
Als Kind hörte sie gerne Hörspiele, klebte förmlich am Radio fest, wie sie dem „Büchermagazin“ erzählte. Die Hörspiele hätten sie auch dazu veranlasst, Schauspielerin zu werden: „Die Fantasie wird bei Hörspielen oder Lesungen häufig mehr angeregt als bei Filmen und Theateraufführungen, denn die visuelle Ebene entsteht beim Hören von Geschichten im Kopf des Zuhörers.“
Sie studierte Schauspiel am renommierten Vassar College und an der Yale Universität. Den Durchbruch als Schauspielerin erlebte sie 1979 mit „Kramer gegen Kramer“: Streep spielt eine Mutter, die sich im Sorgerechtskampf mit ihrem Mann (Dustin Hoffman) verausgabt. Doch war ihr die Figur zunächst zu böse angelegt. Streep setzte es durch, in zwei entscheidenden Szenen ihre Texte selbst neu schreiben zu dürfen und bekam ihren ersten von drei Oscars.
Ihre eigene Familie war immer wichtig für sie. 1978 heiratete sie den Bildhauer Don Gummer. Seit einigen Jahren sind Streep und Gummer getrennt, aber Freunde geblieben, wie Streep sagt. Sohn Henry, Musiker, kam 1979 zur Welt, drei Töchter, Mary „Mamie“, Grace und Louisa folgten, alle sind Schauspielerinnen.
Die Zeiten, in denen sie ihre vier Kinder bekam, waren auch beruflich intensiv. Die 70er und 80er Jahre waren „eine gute Zeit für Schauspielerinnen“, sagte Streep einmal. Vor dem Hintergrund der Frauenbewegung seien damals interessante, „richtige“ Frauen auf der Leinwand gefragt gewesen – Typen wie Rachel, die sich in Mike Nichols Komödie „Sodbrennen“ (1986) mit Jack Nicholson fetzt.
Berühmt ist sie für ihre intelligente, emotionale Darstellung ganz unterschiedlicher Frauentypen, ob Gewerkschaftsaktivistin („Silkwood“), Countrysängerin („Robert Altman’s Last Radio Show“) oder Liebende, mit Robert Redford in „Jenseits von Afrika“ (1985) oder mit Clint Eastwood in dessen Melodram „Die Brücken am Fluss“ (1995). Für ihre Rolle als polnische Holocaust-Überlebende in „Sophies Entscheidung“ erhielt sie 1983 ihren zweiten Oscar.
Oft spielt sie mutige Frauen, etwa Kay Graham in Steven Spielbergs „Die Verlegerin“. Die legendäre Herausgeberin der „Washington Post“ hatte 1971 mit der Veröffentlichung der „Pentagon Papiere“ ein politisches Erdbeben ausgelöst. 2019 verkörpert sie in Steven Soderberghs „Die Geldwäscherei“ eine investigative Journalistin, die einen gigantischen Finanzskandal in Politikerkreisen untersucht. Meryl Streep sagt auch jenseits der Leinwand gerne und deutlich ihre Meinung, gilt als Unterstützerin der Demokraten und scharfzüngige Kritikerin vonm Donald Trump.
Bei ihrer Arbeit habe sie immer Selbstzweifel, brauche diese aber, um jedes Mal wieder alles investieren zu können, so beschrieb sie es selbst in einem Interview. Es scheint, dass gerade die Selbstzweifel Meryl Streep zu ihrem eindrucksvollen Spiel bringen, in dem sie emotionale Tiefen auslotet und feinste Gefühlsregungen ihrer oft neurotischen, schwierigen Heldinnen vermittelt. 2011 wird sie als alternde Margaret Thatcher gefeiert: Für „Die Eiserne Lady“ wird sie zum dritten Mal mit einem Oscar ausgezeichnet. Nominiert war sie 21 Mal.