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Die Angst vorm „Kleinen Prinz“

Kitschige Taufsegen aus dem Internet oder holprig formulierte Trauversprechen? Nicht so schlimm, finden Pfarrerinnen und Pfarrer. Wichig ist, dass sich Menschen angesprochen fühlen

© epd-bild / Gustavo Alabiso

Taufe. Gerade ist die Patentante dran mit einem selbst geschriebenen Wunsch: „Sei ehrgeizig, aber nicht verbissen, sei clever und gerissen, finde deine Leidenschaft und verfolge diese mit aller Kraft“, spricht sie dem Täufling am Taufbecken zu.
Dem Pfarrer ist anzusehen, was er von dieser Formulierung hält: Nichts. Aber nun ist sie heraus, und er muss den Gottesdienst fortsetzen – wenn auch vielleicht mit zusammengebissenen Zähnen.
Der Wunsch, Familienmitglieder oder nahe Freunde an der Gestaltung von Taufen, Trauungen oder auch Beerdigungen zu beteiligen, wächst. Pfarrerinnen und Pfarrer binden Menschen mit ihren persönlichen Gedanken gern in das liturgische Geschehen ein. Es ist daher fast schon selbstverständlich geworden, dass Paten am Taufstein noch einen Segen verlesen oder Trauzeugen das Fürbittengebet im Traugottesdienst formulieren.

Was, wenn Form oder Inhalt nicht passen?

Aber was, wenn Form oder Inhalt nicht passen? Wenn der Segenszuspruch aus dem beliebten, aber keineswegs christlichen „Kleinen Prinzen“ stammt? Wenn jemand aus der Trauergesellschaft bei der Beerdigung den Schlager „Atemlos durch die Nacht“ auf CD einspielen möchte, weil das das Lieblingslied des Verstorbenen war – oder ein buddhistisches Mantra singen? Oder wenn, wie im zitierten Beispiel, der Wunsch für den Täufling hart auf der Grenze zur biblischen Nächstenliebe und Barmherzigkeit balanciert?
Dirk Scheuermann, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Nierenhof bei Hattingen, geht dieses Problem an, indem er mit den Beteiligten im Vorfeld abspricht, welche Formen im Gottesdienst angemessen sind – denn auch er hat schon den „Kleinen Prinzen“ im Fürbittengebet erlebt. Wenn jemand mit einer Idee kommt, die in seinen Augen unpassend ist, versucht er eine Alternative vorzuschlagen. „Grundsätzlich finde ich es aber gut, wenn Leute ihre persönliche Note mit dazubringen, und bin da relativ tolerant“, sagt der Pfarrer. „Die geistliche, kirchliche Seite vertrete ich ja eindeutig mit meinen Texten aus der Agende und der Bibel.“
Scheuermann gibt zu, dass es ihm im Gottesdienst manchmal doch schwerfällt, sich zurückzuhalten. Etwa wenn Leute ständig reden: „Ich versuche mir dann klarzumachen, wie unsicher und unwohl sie sich im ungewohnten Rahmen der Kirche fühlen“, erklärt er seine Haltung. Und wenn mal wirklich ein Tabubruch passiert? „Ich würde wohl versuchen, cool darüber hinwegzugehen“, meint er. „Ich möchte ja Leute gewinnen und nicht verschrecken. Ich sehe diese Gottesdienste als missionarische Gelegenheiten, bei denen Menschen die Kirche als einladenden Ort erleben.“
Auch Pfarrerin Kerstin Hei­brock bietet bei Taufen und Trauungen an, den Gottesdienst mitzugestalten. „Sie dürfen ganz viel, aber Sie müssen gar nichts“, sagt die Kurseelsorgerin aus Bad Lippspringe den Leuten im Vorgespräch. Allerdings ist ihr wohler, wenn sie die Texte vor dem Gottesdienst noch einmal sehen kann – bisher musste sie noch keinen ablehnen.

Priestertum aller Gläubigen ernst nehmen

„Ich lasse vieles zu“, sagt Hei­brock, selbst wenn sie selbst nicht ganz einverstanden ist – etwa wenn jemand ein Kreuz ins Taufbecken halten oder ein bestimmtes Lied spielen möchte. „Bei Taufen und Trauungen mache ich das, um den Leuten gegenüber einladend zu sein, bei Beerdigungen aus seelsorglichen Gründen“, erklärt sie. Eingegriffen hat sie noch nie während des Gottesdienstes. Als allerdings kürzlich bei einer Trauung ein Böllerschuss losging, fühlte sie sich doch zu einem Kommentar genötigt. „Ich habe dann gesagt, dass es ja schön ist, wenn alle sich so freuen, aber dass für diese Form jetzt nicht der richtige Ort ist“, erzählt sie.
Zur Gelassenheit gegenüber ungewöhnlichen Formen und Formulierungen rät auch Gudrun Mawick, Pfarrerin in der Arbeitsstelle für Gottesdienst und Kirchenmusik der westfälischen Landeskirche. „Das erste Kriterium, das im Gottesdienstbuch für einen evangelischen Gottesdienst genannt wird, ist die Beteiligung der ganzen Gemeinde“, so Mawick. „Das birgt natürlich Risiken, aber wenn wir das Priestertum aller Gläubigen ernst nehmen, müssen wir die aushalten.“
Sie selbst lädt daher ebenfalls ein, Taufen, Trauungen oder auch Beerdigungen persönlich mitzugestalten. Was sie stört, ist das wahllose Suchen im Internet. Davor warnt sie bereits in den Vorgesprächen. „Das ist oft unglaublich kitschig und überhaupt nicht durchdacht. Lieber auf Bibel oder Gesangbuch zurückgreifen – oder etwas selbst schreiben.“