Mit zwei Jahren Verspätung wird am Sonntag (23. November) im Alten Münchner Rathaus die Charta der Münchner Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften vorgestellt. Auf dem Podium sprechen unter anderem Rabbiner Jan Guggenheim, Imam Benjamin Idriz, Stadtdekan Bernhard Liess, Hiltrud Schönheit, Vorsitzende des Münchner Katholikenrats, und Wolfgang Wuschek von der Humanistischen Vereinigung. Das ist auch der Ausdauer von Marian Offman, seit 2021 städtischer Beauftragter für interreligiösen Dialog, zu verdanken. Er hatte das Gespräch zwischen den Religionen nach dem Hamas-Attentat vom 7. Oktober 2023 wieder in Gang gebracht.
epd: Herr Offman, am Sonntag stellen Sie bei einer Podiumsdiskussion im Alten Rathaus erstmals die Münchner Charta der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften öffentlich vor. Was steht – kurz gesagt – drin?
Offman: Die Charta ist das gemeinsame Werte-Bekenntnis der zwölf Gemeinschaften, die das Papier unterzeichnet haben: Christen, Juden und Muslime, Buddhisten und Hinduisten, Aleviten, Bahaíi, Jesiden, Humanisten sowie die Anhänger von Mandäismus, Sikhismus und Tenrikyo. Sie bekennen sich mit dieser Charta zu Gleichheit, Vielfalt, Respekt, Dialog und – ganz wichtig – zum Grundgesetz und zum Eintreten gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit.
epd: Unterzeichnet wurde die Charta am 15. September 2023, drei Wochen später veränderte der Terroranschlag der Hamas auf Israel die Welt: Hat die Charta in dieser Situation schon geholfen?
Offman: Das war damals eine extrem schwierige Situation, die erstmal zu einem Stillstand zwischen den Religionen geführt hat. Wir haben lange überlegt, wie wir weitermachen können. Schließlich habe ich eine Sitzung aller Münchner Religionsgemeinschaften einberufen. Mein Ziel war, dass wir eine Basis finden, die es uns erlaubt, wieder miteinander zu sprechen. Das war offensichtlich auch der Wunsch der Religionsvertreter, denn der kleine Rathaussaal war an diesem Abend voll.
epd: Welcher gemeinsame Nenner konnte das sein in dieser verfahrenen Situation?
Offman: Nur einer: Alle Religionsgemeinschaften mussten erklären, dass sie gegen Antisemitismus stehen, aber auch gleichermaßen gegen Islamfeindlichkeit. Die Charta wurde dann am 17. April 2024 nochmal neu und mit dem Zusatz „gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit“ unterzeichnet. Damit war der Gesprächsfaden wieder aufgenommen. Dennoch kam mit zunehmender Härte im Gazakrieg und der zunehmenden Zahl der unschuldigen Opfer bei manchen der Wunsch auf, sich auch dazu zu äußern und nicht – wie es von vielen Seiten gehandhabt wurde – nur das Leid der Opfer des 7. Oktobers 2023 zu benennen. Wir haben das diskutiert und wiederum eine gemeinsame, sehr kurze Erklärung verabschiedet, in der wir das Leid beider Seiten anerkannt haben. Sie hat es uns ermöglicht, weiter miteinander zu reden und jetzt die gemeinsame Veranstaltung zu machen.
epd: Die Podiumsdiskussion am Sonntag ist also mit zwei Jahren Verspätung die Auftaktveranstaltung für die Charta?
Offman: Ja. Man kann in diesem Fall wirklich sagen: Der Weg ist das Ziel. Es war und ist ein langer Weg. Der Schlüssel ist, dass wir immer weiter miteinander reden.
epd: Seit 2016 gibt es den Münchner Rat der Religionen. Sie sind 2021 zum städtischen Beauftragten für interreligiösen Dialog ernannt worden. So haben Sie gewissermaßen die Rolle eines Externen. Inwiefern ist das hilfreich, wenn es mal hakt?
Offman: Ursprünglich wollte ich Antisemitismus-Beauftragter werden, doch die Rathauskoalition hat sich am Ende für eine Beauftragung zum interreligiösen Dialog geeinigt. Das fand ich dann sogar noch besser, denn ich kann nicht erkennen, dass die vielen Antisemitismusbeauftragten in Deutschland zu einer spürbaren Verringerung des Antisemitismus geführt hätten. Ich bin als Beauftragter im Dialog neutral, aber natürlich bin ich auch jüdisch, ich bin seit drei Monaten wieder Mitglied im Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde, ich gehe fast jeden Schabbat in die Synagoge und empfinde ein spirituelles Grundbedürfnis, eine Empathie für Religion. Diese Empathie gilt auch gegenüber anderen Religionen. Das spüren die anderen, und das öffnet mir Türen. Außerdem war Angst noch nie etwas, was mich begleitet. Deshalb bin ich auch nach dem 7. Oktober unerschrocken in die Diskussion gegangen. Doch ich traf gar nicht auf Ablehnung, im Gegenteil: Alle waren dankbar für dieses Forum, das ihnen ermöglicht hat, weiter miteinander zu reden.
epd: Ist das für Sie als Vorstandsmitglied der Israelitischen Kultusgemeinde, die im Dialog mit dem Islam eher zurückhaltend ist, nicht eine Gratwanderung, wenn Sie sich in alle Richtungen so offen positionieren?
Offman: Natürlich gibt es da manchmal Spannungen. Trotzdem habe ich auch nach der Verleihung des Thomas-Dehler-Preises an Imam Idriz im Oktober, die ich öffentlich begrüßt habe und die von Seiten der IKG stark kritisiert wurde, mit allen Vorstandsmitgliedern ein gutes Einvernehmen gehabt. Ich habe zwar von ein paar Leuten kritische Mails bekommen. Aber ansonsten kann ich mich mit meiner Haltung völlig frei bewegen. Insgesamt kann man sagen, dass auch hier viel im Fluss ist: Die gemeinsame Erklärung zum Gazakrieg hat die Präsidentin der IKG sofort mitunterschrieben, und Rabbiner Jan Guggenheim ist für unsere Veranstaltung am Sonntag freigestellt. Wir sind auf dem richtigen Weg.
epd: Was ist für Sie die Grundlage des interreligiösen Dialogs?
Offman: Meine Grundeinstellung ist, dass ich glaube, was mir erzählt wird – bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich schwarz auf weiß erfahre, dass es nicht stimmt. Dass man glaubt, was der andere sagt, und nicht unterstellt, dass er lügt, das ist für mich eine Voraussetzung für ein gedeihliches Miteinander.
epd: Was sagen Sie denen, die den Dialog verweigern?
Offman: Alle Kriege und Auseinandersetzungen in der Welt haben in ihrem Kern etwas mit Religion zu tun. Wenn Frieden zwischen den Religionen ist, ist auch Frieden in der Stadt. Davon bin ich überzeugt. Im Vordergrund steht meines Erachtens momentan, wie der Dialog in den Schulen geführt wird. Darauf müssen wir ein größeres Augenmerk legen. Man muss noch viel mehr als jetzt in die Schulen gehen – da sind auch die Religionsgemeinschaften gefragt. Führungen durch Synagogen und Moscheen sind auch wichtig. Wenn wir vom Judentum, vom Islam erzählen, baut das am meisten Vorurteile ab.
epd: Man hat den Eindruck, dass Sie sich in dem manchmal verminten Gelände des interreligiösen Dialogs ganz gelassen, geduldig und mit großer Offenheit bewegen. Woraus schöpfen Sie ihre Zuversicht?
Offman: Das wird jetzt philosophisch. Die Frage ist: Was ist Glück? Es klingt jetzt vielleicht blöd, aber für mich ist es schon ein Stück Glück, andere Menschen glücklich zu sehen. Wenn ich erlebe, dass beispielsweise Menschen islamischen oder jesidischen Glaubens sich im Wert gleich fühlen wie andere in unserem Land. Das ist für mich beglückend, wenn ich dazu beitragen und das sehen kann. Es war zu Beginn meiner Amtszeit mein Traum, dass im Fahrgastfernsehen der U-Bahn und von 100 Litfaßsäulen in München die Symbole der Religionen gemeinsam herunterleuchten und zeigen, dass wir gemeinsame Werte verfolgen. Ich dachte immer: „Das kannst du niemals erreichen.“ Letztendlich war es gemeinsam mit vielen Unterstützern und Unterstützerinnen möglich. (3583/16.11.2025)