Seit Wochen hat der Wahlkampf seine volle populistische Betriebstemperatur erreicht. Auch der Sozialstaat steht dabei regelmäßig unter Beschuss. Da werden verlässliche soziale Errungenschaften plötzlich zu einem Kostenfaktor, die es zu stutzen gilt, und gewachsene Strukturen der Sozialwirtschaft zu einem unlauteren Wettbewerbsgefüge verunglimpft, notwendigen Integrationsangeboten wird die Legitimation entzogen und Erwerbslosen mangelnde Eigeninitiative unterstellt.
Doch Solidarität kennt nicht die „einen“ und die „anderen“. Der Sozialstaat ist das Fundament einer stabilen Gesellschaft, eine Errungenschaft, die vor 150 Jahren durch evangelische Vordenker maßgeblich mitentwickelt wurde. Jetzt braucht er die Stimme eines jeden Christenmenschen.
Wahlentscheidung: Warum es sich lohnt, sich an der Jahreslosung zu orientieren
„Prüfet alles und behaltet das Gute“! Die Jahreslosung 2025 lenkt den Blick auf eine positive Erzählung, an der wir alle uns beteiligen können, auf dem Boden unserer Verfassung und unserer Werte, ohne Ansehung von Herkunft, sozialem Stand, Alter oder sexueller Orientierung.
Am 23. Februar und darüber hinaus heißt es für uns statt kürzen, abschieben, verbieten und verschärfen: Das Gute sehen und für eine menschlichere Gesellschaft eintreten. Manche sehen darin aktuell eine Überforderung der gesellschaftlichen Solidarität. Viele Ängste werden durch Informationen geschürt, die häufig den Fakten aus unserem diakonischen Arbeitsalltag widersprechen. So leicht dürfen wir unsere zugewandte, aus christlichen, jüdischen und muslimischen Werten, entwickelte Gesellschaft nicht aufs Spiel setzen. Wir begegnen einem vergifteten Diskurs mit unserer christlichen Haltung: Zuhören, Verstehen, Informieren und Gestaltungsspielräume eröffnen.
Politik für den Sozialstaat: Diakonische Expertise muss miteinbezogen werden
Die 52.000 Mitarbeitenden in unseren 1.600 gemeinnützigen Mitgliedseinrichtungen leisten konkrete Beiträge zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der größte Teil sagt: Solidarität ist unteilbar, sie ist kein Sahnehäubchen, sondern die Basis für ein gutes Leben. Sie vertreten täglich alle Facetten der Integration: Sie bringen Geflüchtete mit sozialarbeiterischer Betreuung unter, helfen schwer Traumatisierten, vermitteln Sprachkurse, betreiben Integrationskitas.
All das steht auf den Kürzungslisten von Bund und Ländern. Statt ideologischer Verwerfungen brauchen sie eine mutige Politik, die die diakonische Expertise miteinbezieht und auf realitätsnahe Lösungen setzt. Wirtschaftsverbände und Handwerkskammern sind sich mit uns einig: Integration darf nicht zum politischen Spielball werden. Gerade in Berlin-Brandenburg, das über Jahrhunderte eine Einwanderungsregion war, und wo Erfolgsgeschichten des Ankommens wie die meiner hugenottischen Vorfahren bis heute bei Weitem überwiegen.

Migration ist derzeit das lauteste Thema, aber nur eines von vielen. Evangelische Krankenhäuser und tausende Patientinnen und Patienten setzen auf eine Bundesregierung, die realistische Perspektiven für die Krankenhausreform entwickelt. Die große Pflegereform mit einer besseren Wertschätzung von Pflegekräften und pflegenden Angehörigen ist überfällig. Auch erfolgreiche Angebote für den ländlichen Raum wie das Förderprogramm „Pflege vor Ort“ brauchen langfristige Finanzierung. „Wie können wir pflegen?“ verlangt nach ebenso umfänglichen bundespolitischen Antworten wie „Wer kann teilhaben?“.
Aktuell begleiten wir intensiv die Debatten um die zukünftigen Jugendprogramme: Über die Unterstützung für unsere Jugend von Freiwilligendiensten über Demokratieförderung bis zur strukturellen Jugendhilfe im Zangengriff der Kürzungspolitik von Bund und Land. Bildung ist ein hohes Gut, wer aber die Jugendpolitik auf Bildungsfragen reduziert, verschließt die Augen vor einer Realität existenzieller Herausforderungen.
Herz statt Hetze: Das Bekenntnis zu einem starken Sozialstaat wird gebraucht
Der 23. Februar 2025 markiert voraussichtlich den Beginn einer konservativen Regierungsepoche. Wir machen mit der Diakonie in 16 Bundesländern deutlich: Ein christlicher Konservatismus braucht das Bekenntnis zu einem starken Sozialstaat.
Wir können das Rad der Zeit nicht zurückdrehen, aber wir können die großen Aufgaben der Gegenwart mit den vielfältigen Möglichkeiten eines Einwanderungslandes im Konzert der europäischen Staaten solidarisch lösen. Mein Appell: Entscheiden wir uns am Wahlsonntag für eine Zeit voller Herz statt Hetze, für eine Zeit der positiven Hoffnung. Für einen starken Sozialstaat. Lassen Sie uns gemeinsam gestalten. Das ist jetzt unsere Wahl!
Ursula Schoen ist Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.