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Von Veit Hoffmann
Königsberg, 2. Advent 1623. An diesem Sonntag wurde die neu erbaute Kirche im Stadtteil Altroßgarten eingeweiht. Zu diesem Anlass hatte der Pfarrer Georg Weissel das Lied „ Macht hoch die Tür, die Tor macht weit. Es kommt der Herr der Herrlichkeit …“ geschrieben. Die Freude war groß. Nicht nur bei den Bewohnern des nahe gelegenen Siechenheimes. Auch der reiche Fisch- und Getreidehändler Sturgis schaute der Einweihung der Kirche freudig entgegen. Er hatte sich in der Nähe der Kirche ein Haus gekauft. Doch bald wurde seine Freude getrübt. Dicht bei seinem Gartenzaun verlief ein schmaler Fußweg, den die Armenhäusler benutzten, wenn sie den Gottesdienst besuchen wollten. Sturgis ärgerte sich über den Anblick dieser armseligen Gestalten. Deshalb kaufte er kurzerhand die lange, breite Wiese, über die dieser Pfad führte und zog einen hohen Zaun darum. In Richtung Armenhaus baute er ein großes Tor, verriegelte es, so dass niemand mehr den Trampelpfad benutzen konnte. Die Bewohner des Armen- und Siechenhauses klagten bei ihrem Pastor und baten ihn um Rat. Und Weissel hatte eine Idee: Als die nächste Adventszeit kam, begann auch wieder die Zeit des Kurrendesingens. Ein aus bedürftigen Schülern bestehender Chor zog an Festtagen von Haus zu Haus hielt ein Ständchen und freute sich über eine Spende.
Der Chor traf sich beim Armen- und Siechenhaus und zogen von dort zu Sturgis verschlossenem Tor. Sturgis schaute verdutzt aus dem Fenster. Er wunderte sich, dass der Chor nicht auf der anderen Seite seines Grundstückes, nämlich vor seine Haustür zog. Dort wäre er dann vor die Haustür getreten und hätte den Chorknaben eine Spende überreicht. Nun stand der Chor mit Pfarrer hinten vor dem Tor, das den Trampelpfad versperrte. Sturgis verließ das Haus und kam auf das Gartentor zu, vor dem sie standen. Dort hielt Pastor Weissel eine kleine Ansprache. Er sprach vom König aller Könige, der auch heute vor verschlossenen Herzenstüren wartet und Einlass begehrt, auch beim Kaufmann Sturgis. Und dabei wandte er sich um und zeigte auf die Schar der bedürftigen Schüler.
In diesem Augenblick begann der Chor zu singen: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit…“ Bei der zweiten Strophe, in der es heißt: „All unsere Not zum End er bringt …“ griff Sturgis in seine Tasche und holte den Schlüssel zum Tor hervor und öffnete die schweren Eisenflügel. Tor und Tür blieben jetzt offen, für alle, auch für die Armen und Siechen. Die Königsberger im Stadtteil Altroßgarten nannten den kleinen Weg durch den Gartenpark seitdem ihren „Adventsweg“. Wenn Sie am Sonntag, dem 1. Advent im Gottesdienst dieses schöne Lied anstimmen, dann fragen Sie sich doch einmal, wem Sie innerlich ein Tor öffnen können.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten ersten Advent!
Veit Hoffmann