Was wäre die Weihnachtsgeschichte ohne den Stern von Bethlehem? Laut dem Evangelisten Matthäus führte er die drei Weisen aus dem Morgenland zum Stall, in dem Jesus geboren wurde. Aber gab es den Stern wirklich? In der Astronomie ist er kein Forschungsthema, sagt Uwe Lemmer, Leiter des Carl-Zeiss-Planetariums Stuttgart. Und doch fasziniere er Experten seit jeher – und rufe zeitlos Bedeutsames in Erinnerung.
epd: Herr Lemmer, wie glaubwürdig ist die biblische Geschichte vom Stern über Bethlehem für einen studierten Astronomen und Physiker wie Sie?
Lemmer: Soweit mir bekannt ist, sind selbst Religionswissenschaftler recht skeptisch, wenn es um den Stern von Bethlehem geht. Der Evangelist Lukas erzählt eine ähnliche Geschichte von Christi Geburt wie Matthäus und erwähnt keinen Stern. Es liegt der Verdacht nahe, dass Matthäus die Dramatik der Geschichte steigern wollte, indem er den Stern schlichtweg erfand. Schließlich glaubte man ja auch, dass mit der Geburt eines Menschen ein Stern am Himmel aufleuchtet, und bei einer so wichtigen Persönlichkeit wie Jesus Christus müsste es dann natürlich ein ganz besonders heller Stern sein.
Es ist auch denkbar, dass Matthäus Berichte von Himmelsereignissen wie Planeten oder Kometen vor und nach Christi Geburt aufgeschnappt und dann in seine Geschichte eingebaut hat. Falls es so gewesen sein sollte, ging die Rechnung des Evangelisten voll auf: Der Weihnachtsstern wird im Evangelium nur viermal erwähnt und ist trotzdem zum festen Bestandteil unserer traditionellen Weihnachtserzählung geworden. So gesehen war Matthäus hocherfolgreich!
epd: Wenn es den Stern so möglicherweise gar nicht gegeben haben sollte, warum fasziniert diese Geschichte dann bis heute?
Lemmer: Die gesamte Weihnachtsgeschichte mit der Reise von Maria und Josef und die verzweifelte Suche nach einer Unterkunft ist selbst nach rund zwei Jahrtausenden spannend und für jeden nachvollziehbar. Es ist die wunderbare Kombination von Drama, Spannung, Wunder und Happy End, die hier zusammenfinden.
Selbst viele Andersgläubige oder Atheisten finden die Geschichte unterhaltsam und anregend. Sie ist klar strukturiert, wirkt authentisch, erweckt Mitgefühl, verfügt über einen schönen Spannungsbogen und kommt zu einem guten Ende. Kinder jeden Alters hören immer gebannt zu, wenn jemand die Geschichte erzählt und jedes Jahr wird sie in Kindergärten und Schulen aufgeführt. Es ist ein 2000-jähriger Dauerbrenner.
epd: … aber möglicherweise nicht viel mehr als eine schöne Geschichte.
Lemmer: Die reine Faktenlage ist dünn und lässt noch sehr viel Raum für willkürliche Annahmen und Deutungen. Und doch spielen die historischen Wissenschaften und kulturelle Traditionen des Altertums hier vielgestaltig hinein. Wenn die „Weisen aus dem Morgenland“ tatsächlich babylonische Sternenpriester gewesen sein sollten, dann zeigen sich Zusammenhänge mit den frühen Hochkulturen zwischen Euphrat und Tigris, die ein interessantes Mosaik aus Fakten und Spekulationen ergeben.
Aber unabhängig davon, ob es den Weihnachtsstern wirklich gab und was er genau war, sollte die eigentliche Bedeutung der Weihnachtsgeschichte nicht vergessen werden: Mit der Geburt von Jesus Christus betrat ein Mensch die Bühne der Geschichte, der den frühen Christen neue Hoffnung gab. In seinen Predigten konnten die Menschen ihre Sehnsucht nach Frieden wiederfinden und auf eine Befreiung von der römischen Unterdrückung hoffen.
Sein relativ kurzes Dasein auf der Erde nutzte er, um seinen Anhängern neue Werte, neue moralische Maßstäbe und konkrete Anleitungen für den friedlichen Umgang miteinander zu lehren. Diese Botschaft ist zeitlos gültig und kann bis heute als tragfähiger Leitfaden für das menschliche Miteinander genutzt werden. (2833/18.12.2024)