☐ Wie beurteilen Sie als kritischer Kirchenbeobachter das Engagement von Papst Franziskus?
Was Papst Franziskus in seinem Engagement in all den zentralen Themen bereits getan hat, ist für mich beispielgebend. Seine erste Amtshandlung war nach Lampedusa zu gehen, lange bevor die Situation der Flüchtlinge zum Thema in den Medien wurde. Eine Reform oder Revolution der Kirche kann aber nicht von oben verordnet werden. Sie muss von unten, von den Gläubigen kommen. Er müsste die Wolken von der Sonne schieben, damit das Licht zur Erde käme. Der Papst müsste sich praktisch selbst abschaffen. Da scheint er dabei zu sein.
☐ Welche Perspektiven sehen Sie für die großen Kirchen?
Die Form der dogmatischen Lehrtradition ist nicht nur nicht mehr verständlich, sondern sie bricht vollkommen mit dem modernen Weltbild. Ein Schüler kann heute eigentlich nicht vom Religionsunterricht in die Biologie, Chemie oder Physik kommen. Das sind zwei Weltbilder, die gegeneinander stehen.
Das bleibt solange, wie die Kirche nicht imstande ist, ihren Schöpfungsglauben, die Lehre von Fügung und Gnade Gottes in heutiger Form zu vermitteln. Und nicht so, dass ein unsäglicher Wunderglaube, eine falsche Historisierung der biblischen Befunde wie eine Axt zwischen Vernunft und Glaube spaltend hineinfährt.
☐ Wie fällt Ihr Urteil gegenüber der evangelischen Kirche aus, die im Jahr 2017 den Beginn der Reformation durch Martin Luther feiert?
Die protestantische Überlieferung hat wichtige Ansätze. Was Martin Luther gemacht hat, scheint im heutigen Protestantismus fast vergessen, weil es nie wirklich psychologisch durchgearbeitet wurde. Menschen wollen nicht böse sein. Aber sie können nicht einfach gut sein, nur weil sie wollen. Dahinter stehen Mächte, wie Angst und Verzweiflung.
Deshalb braucht man die Botschaft vom Vertrauen zu Gott, mit der Jesus die Wirklichkeit aufbrechen und erneuern wollte. Die Kirchen müssten mit einer Botschaft von Güte, Vergebung und Gnade das tun, was die Psychotherapie zum Ziel hat.
☐ Was können die Erkenntnisse der Psychotherapie für die Kirche beitragen?
Eine Integration von Theologie und Psychotherapie schaffte nicht nur einen besseren Zugang zu der Predigt, der Vermittlung des Gotteswortes, sondern auch im Umgang miteinander. Wir wüssten dann, wie man Symbole interpretiert – nämlich, wie die Träume im Verlauf einer Psychoanalyse. Vieles in der Bibel – wie die Auferstehung Jesu oder die Jungfrauengeburt – sind kostbare Bilder der Religionsgeschichte, deren Grundlage in der Psychologie der menschlichen Seele und ihren Sehnsüchten liegt. Das Dogma aber besteht darauf, weil es in der Bibel so steht, es in völlig falscher und irreführender Weise wörtlich zu nehmen.