Starbesetztes Drama von 2021 nach den Tagebüchern von Mohamedou Ould Slahi, der als angebliche Schlüsselfigur zu al-Qaida und den Anschlägen in New York von 2002 bis 2016 in Guantanamo eingesperrt war.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
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Der Mauretanier Mohamedou Ould Salahi (Tahar Rahim), der radikalen islamistischen Gruppen nahestehen soll, wurde 2002 von den Behörden seines Landes an die USA ausgeliefert und bis 2016 ohne Anklage als angebliches Al-Qaida-Mitglied in Guantanamo eingesperrt. Das Justizdrama von Regisseur Kevin Macdonald folgt den Versuchen Salahis, mithilfe der US-Verteidiger Nancy Hollander (Jodie Foster) die Unrechtmäßigkeit seiner Inhaftierung gerichtlich erweisen zu lassen.
Die Inszenierung balanciert dabei geschickt zwischen den emotionalen Erzählsträngen und den rechtlichen Details, wobei die Darstellung von Salahis Erlebnissen unter extremen Verhörmethoden besonders ergreifend ist. Die Mischung aus Thriller und Filmbiografie räumt der Anwältin wie dem Ankläger allerdings ähnlich viel Raum ein wie dem Gefangenen.
Mit interessanten ästhetischen Entscheidungen und einer ungewöhnlichen Besetzung bietet der Film eine herausfordernde Auseinandersetzung um Recht und Gerechtigkeit im Schatten des 11. Septembers.
Wie so viele Hollywood-Produktionen beginnt auch “Der Mauretanier” von Kevin Macdonald aus dem Jahr 2021 mit der Einblendung “Dies ist eine wahre Geschichte”. Das Wort “wahre” ist besonders hervorgehoben, als müsste man sich dessen zusätzlich vergewissern. Immerhin wird von einem Ort erzählt, der für Wahrheit und Fakten lange wie ein schwarzes Loch war: das Gefangenenlager Guantanamo.
Der Film zeigt das Lager als Ort der Unschärfe, des Verwischens und der Über- und Unterreizung. Als Black Box, die mit der Außenwelt nur über Umwege kommuniziert und trotzdem unentwegt nach außen drängt. Denn das ist die Angst, von der in einer Mischung aus Filmbiografie und Politthriller erzählt wird: Was, wenn Guantanamo Bay längst überall ist?
Konkreter geht es um Mohamedou Ould Slahi, den Autor von “Das Guantanamo-Tagebuch”, das 2015 erstmals erschien, zum Bestseller wurde und seit 2018 auch in unzensierter Fassung verfügbar ist. Im Jahr 2001 wurde er in Mauretanien entführt und ohne formelle Anklage in das US-Gefängnis auf Kuba verfrachtet. Man warf ihm vor, an den Terroranschlägen vom 11. September 2001 mitgewirkt zu haben. Unter anderem sollte er die Täter rekrutiert haben. Verkörpert wird er von Tahar Rahim.
Die idealistische Anwältin Nancy Hollander (Jodie Foster) nimmt sich seines Falls an; gemeinsam mit ihrer jüngeren Kollegin Teri Duncan (Shailene Woodley) übernimmt sie seine Verteidigung. Chefkläger ist der Navy-Lieutenant Stuart Couch (Benedict Cumberbatch). Er plädiert dafür, dass Mohamedou zum Tode verurteilt wird. Der Fall geht ihm persönlich nahe; ein guter Freund ist bei den Anschlägen ums Leben gekommen. Doch keine der Seiten kennt die ganze Wahrheit.
“Der Mauretanier” ist über weite Strecken ein Schauspielfilm. Mohamedou ist die Hauptfigur, doch Kläger und Anwältin wird vergleichbar viel Zeit eingeräumt. Beide Fraktionen stoßen schnell auf massiven Widerstand von Justiz und Geheimdiensten. Couch bekommt kaum Unterstützung von seinen Vorgesetzten. Und Hollander erhält viele Dokumente nur geschwärzt; ihre Betreuer bei der Aktenansicht erweisen sich als höflich, aber unkooperativ. Auch die Presse geht nicht gerade zimperlich mit einer Frau um, die einen mutmaßlichen Terroristen verteidigen will.
Der in vielen anderen Filmen glänzende Cumberbatch passt leider nicht wirklich zu dieser Rolle des kernig-konservativen US-Amerikaners. Vielleicht wurde er besetzt, um der Unsicherheit des Lieutenants mit seiner Position eine physische Dimension zu geben. Es wäre nicht die einzige mutige, aber streitbare Entscheidung des Films.
Auch bei der Rolle von Nancy Hollander erzeugt das Casting eine interessante Diskrepanz zwischen Figur und Darstellerin. Foster spielt die deutlich ältere Anwältin mit grauem Haar mit der Energie einer jüngeren Frau – wie könnte es auch anders sein?
Tahar Rahim spielt mit großer Hingabe die Auswirkungen des kafkaesken Terrors, den der junge Mauretanier erdulden muss. Als er zum ersten Mal auf seine Anwältin trifft, ist er offen und charmant, doch hinter der Fassade aus Floskeln und Popkultur-Referenzen ist ein tiefer Schmerz verborgen.
Der Plot arbeitet etwas bemüht auf eine Erkenntnis hin, die heute keine große Überraschung mehr darstellt: In Guantanamo Bay wurde gefoltert. Wenn Rahim dann im Gerichtssaal nur als Kopf auf einem Bildschirm auftritt, hat er die Windowbox in die Welt getragen. Vieles, was die Folterszenen definiert, findet sich in leicht abgewandelter Form auch anderswo in der Filmwelt.
“Der Mauretanier” erzählt davon, dass mit Guantanamo Bay so lange ein Karzinom am Herzen der Demokratie wächst, bis das Lager geschlossen wird. Das ist vielleicht ein wenig naiv und verkürzend, aber auch nicht falsch. Dennoch ist “Der Mauretanier” eher gut gemeint als gut gemacht.