Er malte das Licht wie kein anderer. Er setzte sich der Natur aus, studierte als leidenschaftlicher Beobachter Wind, Wolken, Regen und brachte, was er sah, bis zur Auflösung der Formen auf die Leinwand. An europäischer Malerei geschult und zunächst auch der Tradition verhaftet, vermischte William Turner (1775-1851) in seinem Spätwerk Licht, Farbe und Raum immer stärker, immer fließender. Vor 250 Jahren, am 23. April 1775, wurde der berühmteste englische Maler geboren.
Aber er malte nicht nur die Erhabenheit der Natur, sondern auch die Gewalt der modernen Maschinen: Ein Eisenbahnzug rast aus der Tiefe des Bildes nach vorne. Nur der schwarze Schornstein der Lokomotive ist scharf zu sehen, ansonsten verschwimmt fast alles in Braun, Gelb, Blaugrau. „Regen, Dampf und Geschwindigkeit“ nannte Turner sein Bild von der Great Western Railway.
Ein großes Segelschiff mit abgetakelten Masten im Schlepptau eines Dampfbootes, das Rauch und Feuer in den roten Abendhimmel spuckt: Die „Temeraire“ wird 34 Jahre nach der Seeschlacht von Trafalgar (1805) zum Abwracken transportiert. An das nationale Ereignis des Sieges der britischen Flotte über die französische knüpft die moderne Technik der Seemacht an, die künftig mit Dampfkraft die Weltmeere beherrschen wird. „Die letzte Fahrt der Temeraire“ ist bis heute in Großbritannien das populärste Bild Turners. Das Vereinigte Königreich, Vorreiter der Industrialisierung: Hier ist Turner durchaus nationalbewusster Brite.
Als Sohn eines Friseurs in London geboren, zeigte Joseph Mallord William Turner schon früh Talent, das sein Vater erkannte. Er stellte Zeichnungen des Jungen in seinem Barbierladen aus und weckte so das Interesse zahlungskräftiger Förderer. Später verwaltete er Haushalt und Finanzen seines unverheirateten Sohnes und wurde sein Gehilfe, der ihm die Leinwände aufspannte und grundierte. Mit 14 Jahren trat William Turner in die Kunstschule der Royal Academy ein, der er sein Leben lang verbunden blieb.
Von Anfang an ging der enorm produktive Künstler bei der Vermarktung seiner Werke zielstrebig vor – und war erfolgreich. Bald konnte er von seiner Malerei leben und brachte es zu Wohlstand.
Zeitgenossen beschreiben ihn als wortkarg, schrullig oder schroff, auf jeden Fall eigenwillig. Ab 1798 war er viele Jahre mit der Witwe Sarah Danby verbunden, mit der er zwei Töchter hatte. Und seit den frühen 1830er Jahren bis zu seinem Tod war die verwitwete Sophia Caroline Booth seine Lebensgefährtin. In seinem letzten Wohnort Chelsea nannte er sich „Mr. Booth“, um unerkannt zu bleiben.
Entsprach sein frühes Schaffen noch dem Zeitgeschmack der Romantik, so fand er immer stärker zu seinem eigenen, unverwechselbaren Stil. Zunächst war das Aquarell seine bevorzugte Technik, in der er früh eine hohe Perfektion erreichte. Vieles probierte er aus und wandte das Prinzip des Aquarells, das Zerfließende, Unbestimmte, auch auf die Malerei mit Ölfarben an. Er hat in seinen Bildern gespachtelt, gekratzt, geschabt und dazu Pinselstiel, Palettmesser und Hände gebraucht.
Hatte er Vorbilder? Claude Lorrain (1600-1682), jener französische Maler des Barock, der wohl als Erster und lange als Einziger die Sonne als Lichtquelle malte, hat ihn geprägt. Das Gegenlicht der tief stehenden Morgen- oder Abendsonne wird zum häufigen Motiv William Turners.
Er war viel unterwegs. Von seinen Reisen durch Großbritannien, aber hauptsächlich durch Italien, Deutschland, die Schweiz und Frankreich brachte er Tausende von Skizzen mit, die er dann im Atelier ausarbeitete.
Vielen gilt William Turner als Vorläufer des Impressionismus. Als die französischen Impressionisten 1882 in London ihre Werke ausstellen wollten, erklärten sie, dass ihnen in ihrem Bestreben, die genaue Beobachtung von Natur, Bewegung und Licht darzustellen, „der große Meister der Englischen Schule, der erhabene Turner, vorausgegangen“ sei.