Bargteheide. Es war ein Schock: Bei einer Routine-Untersuchung in der elften Schwangerschaftswoche erfuhr Jenny Lühmann aus Bargteheide im Kreis Stormarn, dass das Herz ihres Babys nicht mehr schlägt. Wenige Tage später, im April 2016, wurde der heute 32-Jährigen im Hamburger Marienkrankenhaus ihr Kind abgesaugt.
„Mir war wichtig, dass mein Baby nicht auf dem Müll landet“, sagt Jenny Lühmann. Infos über mögliche Bestattungsformen mussten sich die verwaisten Eltern aber mühsam zusammensammeln. Mit ihrer Trauer fühlten sie sich von den Ärzten alleingelassen. Letztlich wurde ihnen eine Sammelbestattung auf dem Öjendorfer Friedhof in Hamburg angeboten, allerdings erst ein halbes Jahr später. „Wir brauchten aber zeitnah einen Ort zum Trauern“, so die gelernte Physiotherapeutin.
Eigenen Verein gegründet
Das Paar erfuhr schließlich über Freunde, dass sie auf dem Bargteheider Friedhof ihr Kind bestatten lassen konnten. „Als ich der Klinik ankündigte, dass ich mein Kind vom Bestatter abholen lassen möchte, haben die mich groß angeguckt“, sagt Lühmann. Am Grab war sie erschrocken über die Größe des Sarges – obwohl es der kleinste war, den der Bestatter hatte. „Vorher wusste ich auch gar nicht, wie ich unser Kind darin betten sollte“, so Lühmann. Eine Freundin nähte ihr schließlich einen Stern mit einem Fach, in die der Bestatter das Baby hineinlegen konnte.
Ein gutes Jahr später bekam Jenny Lühmann eine Nähmaschine geschenkt. Nach kurzer Zeit begann sie, für früh verstorbene Kinder und Frühchen Kleidung und Deckchen zu nähen. Erst schickte sie ihre Sachen einem bundesweiten Verein zur Verteilung an betroffene Eltern. 2019 gründete sie mit ihrer Freundin Lena Brunßen ihren eigenen: „Sternenkinder Bargteheide“.
Mittlerweile gehören ihm 50 Frauen an, die für früh verstorbene Kinder und Frühchen Kleidung, Bettchen und Decken nähen, stricken und häkeln. Auch kleine Kisten zur Bestattung werden angeboten. Über Ebay-Kleinanzeigen, Facebook und Instagram macht Lühmann Werbung für die Sachen. Auch Kliniken können bei ihr bestellen. „Es ist oft entwürdigend, wie Eltern ihre toten Kinder im Krankenhaus betrauern müssen und mit nach Hause bekommen. Etwa in Nierenschalen oder nackt eingewickelt in Spucktücher“, sagt Lühmann.
Kleine Kuscheltiere, tröstende Verse
Inzwischen hat der Verein eine Größentabelle, aus der abzulesen ist, was den Kindern ab welcher Schwangerschaftswoche passt. Bodys, Windeln und Socken fertigen die Frauen in der Regel für Kinder ab der 20. Schwangerschaftswoche. Für die ganz früh Verstorbenen sind es kleine Einschlagdecken und Bettchen. Auch Kerzen legt Lühmann den Paketen bei, Karten mit tröstenden Versen und kleine Kuscheltiere für Geschwisterkinder. Eine Weihnachtskugel hat der Verein ebenfalls im Programm.
An Kliniken schickt Lühmann Bestellformulare, verwaiste Eltern können die Pakete aber auch direkt über www.sternenkinderbargteheide.de bestellen. In diesem Jahr verschickte sie bereits 140 Pakete an Eltern, die meisten enthielten Frühchenkleidung. Krankenhäuser bestellten vergleichsweise wenig, nur zehn Pakete. Dabei ist das Angebot für alle umsonst. Der Verein finanziert sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge.
Kerze ins Fenster
„Ich würde mir wünschen, dass Frauenärzte und Kliniken sich gut ausstatten, auch mit Infomaterial, das sie betroffenen Eltern mitgeben können“, sagt Lühmann. Der Tod in der Schwangerschaft sei immer noch häufig ein Tabuthema, und eine Trauerbegleitung der Eltern finde kaum statt. Dabei sei doch jedes Kind eine Erinnerung wert, egal wie klein es war.
Jenny Lühmann hat ihre Trauer inzwischen verarbeitet. Mit ihrem Ehemann hat sie zwei Kinder, acht und vier Jahre alt. Dennoch fühlt sie sich eigentlich als Mutter dreier Kinder. Am 12. Dezember, dem Weltgedenktag für verstorbene Kinder, wird sie mit ihrer Familie eine Kerze ins Fenster stellen. (epd)