Kurt Marti zählte zu den bedeutendsten Lyrikern der Schweiz. Der reformierte Pfarrer galt seit den 50er Jahren zudem als analytischer Beobachter des politischen Klimas seiner Heimat. Bekannt wurde der gebürtige Berner durch seine in aggressiven Sprachwitz verpackte Gesellschaftskritik. Am vergangenen Samstag ist Marti im Alter von 96 Jahren gestorben.
Der auf Bildern stets freundlich und hellwach blickende, hoch gewachsene Herr mit großer Brille verfasste seit seinem ersten Band „Boulevard Bikini“ (1958) Hunderte Gedichte, viele in Berner Mundart. Sein Spektrum reichte von Naturlyrik zu konkreter „engagierter“ Poesie. Hinzu kamen Essays, Kurzgeschichten und ein Roman. Leser würdigten seine schwebende und spielerische Leichtigkeit der Sprache.
Auf die Frage, ob er sich mehr als Theologe oder Schriftsteller fühle, sagte Marti einmal: „In mir ist beides eng beieinander.“ Er wollte jedoch nicht in die Schublade „christlicher Dichter“ gesteckt werden. Der evangelische Theologieprofessor Eberhard Jüngel nannte Marti einen „Theopoeten“, dessen Texte theologisch und poetisch zugleich sind.
Zur Theologie kam der am 31. Januar 1921 geborene Sohn eines Notars nach eigenen Worten wie „die Jungfrau zum Kind“. Unter seinen Vorfahren hatte es „Bauern, Gemeindeschreiber, Kaufleute, Ärzte, Handwerker, ab und zu auch Tunichtgute und Bankrotteure gegeben, nie jedoch einen Pfarrer“. Von der Theologie versprach er sich Einblicke in die großen Lebensrätsel. Insgeheim sogar so „etwas wie Erleuchtung“. „Erleuchtung worüber? Über alles! Nicht zuletzt auch über sich selbst“.
Der Vater von vier Kindern wetterte früh gegen den Kalten Krieg sowie antiliberale Einstellungen seiner militärisch neutralen Heimat. Er engagierte sich bald gegen den Vietnamkrieg, agitierte gegen Atomwaffen und Atomenergie, warnte vor der Zerstörung der Alpen oder prangerte das Elend in Entwicklungsländern an. Das verhalf ihm in seinem eher konservativen Umfeld zuweilen zum Ruf, er sei Kommunist oder christlicher Marxist. Nicht zuletzt deshalb scheiterte wohl in den 70er Jahren eine Berufung Martis auf einen theologischen Lehrstuhl für Predigtlehre seiner Heimatstadt Bern.
Als Seelsorger und Autor vertrat der Schüler des Schweizer Theologen Karl Barth (1886-1968) ein zeitgemäßes aufgeklärtes Christentums ohne falsche Tröstungen. Die christliche Religion dürfe nicht in der Institution Kirche erstarren („Der Heilige Geist ist keine Zimmerlinde“), warnte er. Als Grundton durchzog sein Werk die Einsicht in die Ohnmacht des Menschen angesichts der zerstörerischen Tendenzen seiner Zeit.
In seinen berühmten „Leichenreden“ (1969) heißt es nüchtern: „betrauern wir diesen mann / nicht weil er gestorben ist / betrauern wir diesen mann / weil er niemals wagte / glücklich zu sein.“ In einem Kirchenlied, das seinen Weg ins Evangelische Gesangbuch fand, hofft Marti auf eine „Welt ohne Leid, / wo Gewalttat und Elend besiegt sind“.
Nach einem Berufsleben als Pfarrer, dem Verlust seiner Frau Hanni Marti-Morgenthaler 2007 und dem Erreichen eines biblischen Alters hatte Kurt Marti offenbar einen nüchternen Blick auf die Ewigkeit entwickelt: Bei Beerdigungen habe er immer gesagt, er wisse nicht, ob es ein Jenseits gibt, sagte er einmal in einem Interview der „Berner Zeitung“. „Ich kann nicht recht glauben, dass wir als Individuen weiterexistieren. Gott weiß, was er mit mir macht, und ich weiß es nicht.“
Artikel teilen
Der Heilige Geist ist keine Zimmerlinde
Der Schweizer „Dichterpfarrer“ Kurt Marti suchte zeitlebens nach Erleuchtung „über alles“
© epd-bild / Dharmendra Parmar