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Der Bildschütz – auf der Pirsch

In der vorgeblich „schönsten Zeit des Jahres“ – der Urlaubszeit – sind Kameras allgegenwärtig. Dazu einige Gedanken über Bilderflut, Geduld. Und gelegentlichen Verzicht

Sommerzeit. Urlaubszeit. Film- und Fotozeit. Ein harmonischer Dreiklang. Jedenfalls für all jene, die der vorgeblich „schönsten Zeit des Jahres“ mit ihrer Kamera die in ihren Augen tollsten Momente für die Nachbetrachtung zu Hause abringen wollen. Und so manches Familienmitglied, das derweil des Öfteren ungeduldig wartet, bis endlich alles im Kasten ist, ist hinterher froh über jeden Augenblick der Erinnerung, der damit der Vergessenheit entrissen ist.
Und so sind sie wieder zuhauf unterwegs überall – in der ganz nahen wie in der ganz fernen Welt –, die Film- und Fotoschützen. Gleichgültig, wie ungezählt oft und aus welch unterschiedlichen Perspektiven der Pariser Eiffelturm, Londons Big Ben oder das Brandenburger Tor in Berlin und alles sonst von Menschenhand Geschaffene schon abgelichtet wurde. Egal auch, was alles an Naturschönheiten und -wundern – stille und weniger stille Flüsse, Seen und Meere, Berge und Gebirge, Fauna und Flora – bereits auf Festplatten und in Fotoalben „für die Ewigkeit“  gespeichert ist. Für jede und jeden wahren Film- und Fotoschützen zählt letztlich nur eins: das eigene Bild, der eigene Film. Diese Feststellung gilt übrigens international.
Also stehen die Trophäenjägerinnen und -jäger alle Jahre aufs Neue vor allem in der Feriensaison wieder zu Dutzenden vor den diversen baulichen und natürlichen Würdigkeiten, die sie durch ihre Sucher sehend ins Visier nehmen. Vielfach schnell abgeschossen mit einem kurzen Tipp des Zeigefingers auf den Auslöser oder denselben auf demselben etwas länger fixiert für eine Filmsequenz geht‘s durch Stadtzentren, beschauliche Dörfer, Feld, Wald und Flur.
Das war zwar vor Erfindung von Handys und Digitalkameras kaum anders. Doch wo es früher zwei oder drei 36er-Filme, eine Videokassette und vielleicht zehn Super-8-Filme taten, erlauben die Speichermedien heute schnell und kostengünstig eine zigfache Bildausbeute.
Um die mit der Bilderflut deutlich erhöhte Wahlqual hernach zu Hause zu mindern, empfiehlt es sich, das Eingefangene unter diesem Blickwinkel erst mit einem gewissen zeitlichen Abstand Revue passieren zu lassen. Vielleicht zwei oder drei Monate später.
Solcher Überlegungen ledig ist,  wer sich an seinem Urlaubsdomizil Zeit lässt bei der Motivjagd. Längeres Beobachten schärft bekanntlich den Blick für Details, um Verborgenes, Unerwartetes zu entdecken. Des Langmuts Lohn: eher weniger, dafür aber qualitativ bessere Bilder, die noch dazu die nachhaltige Erinnerung verstärken. Das jedenfalls ergab ein Experiment der Psychologin Linda Henkel von der Fairfield University, einer katholischen Privatuniversität im US-Bundesstaat Connecticut (Seite 12).
Um die Geduld Mitreisender nicht über Gebühr zu strapazieren, ist dafür aber wohl eher ein Alleingang anzuraten. Tröstlich: Wieder vereint dürfte es nach einer solchen Solopirsch und abgeklungenem Jagdfieber dem Bildschütz leichter fallen, an dem ein oder anderen Ferientag seine Bild-Flinte mal nicht zu schultern.