„Warum drehen wir nicht einfach den Spieß um?“, fragte der belgo-brasilianische Franke Jean-François Drozak. Die Idee seines spielerischen Experiments: Für sein „Raubkunst-Spiel“ schlüpfte er mit zwei weiteren People of Color aus Nürnberg in die Rolle von Kolonialherren. Sie raubten – mit Ankündigung und Erlaubnis – Objekte aus Museen, kirchlichen und städtischen Institutionen. Das Raubgut war in den Räumen seines Nürnberger Kulturfördervereins Nordkurve zu sehen. Schwarze Kolonialisten präsentierten „fränkische Ureinwohner“ und deren Lebenswelt.
Die Ausstellungstexte setzen die Idee fort. Da ist in Anlehnung an die „Unterdrückung und Entmenschlichung in der Kolonialzeit“, wie Drozak erklärt, ein Einführungstext zum Charakter der Franken zu lesen. Sie seien als einst protestantische Hochburg calvinistisch, sauber und alles sei perfekt geputzt. Im pseudowissenschaftlichen Ton eines Kolonialherrschers werden sie weiter beschrieben. Charakteristisch sei ein oft leerer Gesichtsausdruck. Und im Schädel des Franken seien Willens- und Begehrensimpulse mächtiger als alle Hemmungen.
„Wir haben uns über die Franken gestellt“, sagt Drozak. Der Tenor der spielerischen Aktion sollte sein: „Ich kann mit dir machen, was ich will.“ Und deswegen sehen die Nürnberger Bratwürste, eingelegt in einem Reagenzglas in Formaldehyd, nicht zufällig wie abgeschnittene Finger aus. Die Nähe zu Exponaten in Naturkunde- oder Völkermuseen, in denen Skelette afrikanischer Menschen standen, ist ebenfalls unübersehbar.
Das Künstlertrio beschäftigt sich seit Jahren mit der europäischen Kolonialisierung. Dabei geht es auch um die schleppende Rückgabe von Raubkunst in deutschen oder belgischen Museen. „Unsere künstlerische Intervention ist als Dialogprozess angelegt“, betont Drozak bei der Buchpräsentation im Nürnberger Spielzeugmuseum. Er möchte mit einem spielerischen Perspektivwechsel den unreflektierten Blick auf Afrika verändern.
„Das Spiel ist perfekt geeignet für ein künstlerisches Experiment“, ergänzt Karin Falkenberg, Chefin des „beraubten“ Nürnberger Spielzeugmuseums. Selbst Spielzeug sei nie unschuldig, sondern politisch. Es transportiere immer gesellschaftliche Werte und Anschauungen. Ein Tiefpunkt vermeintlicher Aufklärungsarbeit seien die „menschenverachtenden Völkerschauen“. Dafür wurden Menschen in anderen Kontinenten geraubt und etwa im Zirkus Hagenbeck wie Tiere ausgestellt. Falkenberg beschäftigt sich seit Jahren mit Rassismus im Spielzeug. Und sie sieht eine durchgehende Linie von den mittelalterlichen Kunst- und Wunderkammern der Fürsten und Kirchen bis zu manchem ethnologischen Museum in der Gegenwart.
Das Raubkunst-Spiel als umgedrehte Kolonialgeschichte hat noch ein weiteres Kapitel. So wie sich Kolonialisten mit falschen Versprechungen in Afrika oder Amerika Vorteile verschafften, machte es auch das Künstlertrio der Nordkurve. Sie gaben die Objekte, etwa die Richard-Wagner-Büste vom Opernhausplatz, den Thron des Nürnberger Christkinds, eine Statue vom Nürnberger Menschenrechtsbüro sowie ein Spielzeugauto, nicht wie vereinbart zurück. Stattdessen mussten Museum, Staatstheater und Ämter mit einem überzeugenden Schreiben den Rückgabewunsch begründen. Für die beraubten Institutionen hörte da oft der spielerische Charakter auf – man pochte nach gut deutscher Manier auf die Eigentumsrechte.
Diese Facetten haben Drozak und Falkenberg gemeinsam im Buch dokumentiert. Allerdings wurde zuvor unter den drei Aktivisten der Nordkurve diskutiert, ob Falkenberg „als Weiße“ überhaupt am Buch über Frankens kurzzeitige Kolonialisierung mitarbeiten durfte. Das Büchlein ist mit aktualisierten Texten und Erfahrungsberichten angereichert. So berichtet ein Aktivist in Safarikleidung und Tropenhelm, wie ein Passant einschreiten will, als er mit seinem Fuß auf der Richard-Wagner-Büste in Großwildjäger-Manier für ein Foto posiert.
An eine Fortsetzung des spielerischen Experiments denkt Drozak nicht. „Das Spiel ist nicht wiederholbar und es lebt vom Überraschungseffekt.“ Aber er sei gerade mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit im Gespräch, ob sich der spielerische Wechsel der Sichtweisen nicht für Schulen aufbereiten lässt. (1776/29.05.2025)