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Dem Bösen ins Auge schauen

Seine Erzählungen sind oft grotesk, in „Die Physiker“ landet der Zuschauer mit den Forschern gar im Irrenhaus. Friedrich Dürrenmatt, einer der bekanntesten Schweizer Autoren, starb vor einem Vierteljahrhundert

Mit Satire gegen den Schrecken der Welt: Friedrich Dürrenmatts Theaterstücke und Romane sind Klassiker. Begonnen hat der Erfolg mit einem Fortsetzungskrimi für eine Illustrierte, aus dem ein äußerst erfolgreicher Roman wurde.
Er war neben Max Frisch der berühmteste und erfolgreichste Schweizer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts: Friedrich Dürrenmatt, gestorben vor 25 Jahren am 14. Dezember 1990. Seine Werke wurden in 44 Sprachen übersetzt. Dürrenmatts erstes Theaterstück „Es steht geschrieben“ allerdings war 1947 ein Misserfolg, ebenso „Der Blinde“ ein Jahr später. Der junge Autor schrieb in den folgenden Jahren zwei Krimis als Fortsetzungsromane für die Illustrierte „Der Schweizerische Beobachter“ – er musste seine junge Familie ernähren. 1946 hatte er geheiratet, bis 1951 wurde drei Kinder geboren.

Philosophie im Krimigewand

Die zwei Krimis waren „Der Richter und sein Henker“ und „Der Verdacht“. Sie wurden zu einem Riesenerfolg. „Der Richter und sein Henker“ gilt als Dürrenmatts bestes Prosawerk, einigen Kritikern sogar als „Jahrhundertroman“. In beiden Büchern fasziniert die Hauptfigur, der todkranke Kommissar Bärlach. Im „Richter“ will er einen Mafia-Boss, der einst sein Freund war, doch noch zur Strecke bringen. In „Der Verdacht“ ist er auf den Spuren eines untergetauchten KZ-Arztes: philosophische Auseinandersetzungen im Krimigewand über die Prinzipien von Gut und Böse, Leben und Tod.
Dürrenmatt wurde am 5. Januar 1921 in einem Dorf bei Bern geboren, als Sohn eines Pfarrers. Nach dem Abitur mit der Gesamtnote „knapp ausreichend“ studierte er Philosophie, Naturwissenschaften und Germanistik. 1946 brach er das Studium ab, um freier Schriftsteller zu werden. Mit dem Stück „Die Ehe des Herrn Mississippi“ hatte er 1952 seinen ersten Theatererfolg.
International berühmt wurde der Autor dann in den 60er Jahren mit den Stücken „Die Physiker“ (1962) und „Der Besuch der alten Dame“ (1965) – Unterrichtslektüre für Generationen von Schülern. Der Autor entwickelte an den Dramen seine Literatur-Theorie, die auch für seine Romane gilt: Nur die Satire, die Groteske, das Gleichnis könne den Schrecken der Welt darstellen. In den raffiniert komponierten „Physikern“ geht es um die Bedrohung durch die Atombombe, im „Besuch der alten Dame“, seinem Meisterwerk, um persönliche Schuld.
Die immens reiche Claire Zachanassian kehrt nach 45 Jahren in ihr Heimatstädtchen Güllen zurück. Sie will dem Ort eine Milliarde schenken, dafür fordert sie den Tod von Alfred Ill, der sie damals mit einem Kind sitzenließ, sie wurde zur Prostituierten. „Die Alte Dame“, schrieb Dürrenmatt, „ist ein böses Stück, doch gerade deshalb darf es nicht böse, sondern muss aufs Humanste wiedergegeben werden, mit Trauer, nicht mit Zorn, doch auch mit Humor, denn nichts schadet dieser Komödie, die tragisch endet, mehr als tierischer Ernst.“
Zur Herausforderung für Dürrenmatt wurde der Wunsch des österreichischen Komponisten Gottfried von Einem, aus der „Alten Dame“ eine Oper zu machen. Der Autor sträubte sich lange, er quälte den Komponisten mit immer neuen ablehnenden Argumenten. Als er schließlich doch zustimmte, wurde er überraschend zum idealen Partner, schrieb selbst das Libretto und strich zugunsten der Musik „ohne Nachsicht und Eitelkeit wunderbare Passagen aus dem Stück“, erzählte Gottfried von Einem. Die Uraufführung war 1971 in Wien. Die Musik hat die Groteske abgemildert, die Oper treibt zur Tragödie hin.

Die Schweiz nannte er ein „Gefängnis“

Dürrenmatt schrieb weiterhin Bühnenstücke, die nicht mehr so populär wurden, außerdem Hörspiele und Essays zu Fragen der Zeit. Zunehmend widmete er sich seinem zweiten künstlerischen Talent, dem Zeichnen. Besonders interessierten ihn mythologische und religiöse Motive. In Neuchatel, wo er von 1952 bis zu seinem Tod wohnte, werden die Zeichnungen im Centre Dürrenmatt gesammelt, einem Museum zu seinen Ehren. Unter den zahlreichen Preisen, die er erhielt, ragt der Georg-Büchner-Preis 1986 in Darmstadt als der literarisch gewichtigste hervor.
Nach dem Tod seiner ersten Frau Lotti Geißler heiratete Dürrenmatt 1984 die Schauspielerin, Filmemacherin und Journalistin Charlotte Kerr. Der Dokumentarfilm „Dürrenmatt – eine Liebesgeschichte“, eine filmische Biographie von Sabine Geiger, hatte in diesem Herbst Kino-Premiere.
Noch kurz vor seinem Tod sorgte Dürrenmatt für Aufregung, als er am 22. November 1990 in einer Rede zu Ehren von Václav Havel die Schweiz als „Gefängnis“ bezeichnete. Ihre Bewohner seien zugleich Wärter und Gefangene. Gemeint war: Mit ihrem Anspruch auf Unabhängigkeit und Neutralität innerhalb Europas sitze sie wie hinter hohen Mauern – eine Kritik des Schweizers, der seiner Heimat ein Leben lang treu geblieben war, am Selbstbild seiner Landsleute.

Internetauftritt des Centre Dürrenmatt: www.bundesmuseen.ch/cdn.