Der Streit um die aus der Bibel abgeleitete Lehre von der Rechtfertigung spaltete am Ende des Mittelalters die Christen in Europa. Dabei ging es um das Zentrum ihres Glaubens: Wie bringt der Mensch sein Verhältnis zu Gott in Ordnung? Wie findet ein sündiger Mensch Gnade vor Gott? Katholiken und Protestanten beantworteten diese Fragen unterschiedlich und gingen seit dem 16. Jahrhundert getrennte Wege. Vor allem mit der Rechtfertigungslehre grenzten sich beide Kirchen rund 500 Jahre lang voneinander ab.
Martin Luther (1483-1546) und andere Reformatoren machten die Lehre zur Kernthese der Reformation. Danach kann ein Mensch sich nicht durch Leistung – wie Gebete, Wallfahrten oder Spenden – selbst erlösen. Das Seelenheil wird ihm vielmehr von Gott „allein durch den Glauben“ geschenkt. So interpretierte bereits der Apostel Paulus Mitte des ersten Jahrhunderts die Botschaft Jesu von der unmittelbaren Liebe Gottes zu den Menschen. Luther hatte dies für seine Zeit neu übersetzt. Seine „reformatorische Entdeckung“ sah er als große Befreiung von angsteinflößenden religiösen Gesetzen, die kaum ein Mensch erfüllen kann.
Die von Luther geforderten Reformen führten nicht nur zur Gründung der evangelischen Kirchen, auch die römisch-katholische Kirche hat sich seitdem grundlegend reformiert. Damals von beiden Seiten ausgesprochene Lehrverurteilungen gelten heute nicht mehr. Ein Schlussstrich unter dieses Kapitel Kirchengeschichte wurde am 31. Oktober 1999 gezogen: In der in Augsburg unterzeichneten „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ stellen beide Seiten ihre grundsätzliche Übereinstimmung fest. Praktische Auswirkungen gibt es bislang nicht.