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Das Staunen bleibt

Über den Predigttext für den 7. Sonntag nach Trinitatis: Johannes 6,1-15

Predigttext
1 Bald darauf ging Jesus ans andere Ufer des Sees von Galiläa, der auch See von Tiberias genannt wird. 2 Eine große Menschenmenge folgte ihm. Denn sie hatten die Zeichen gesehen, die er an den Kranken tat. 3 Jesus stieg auf einen Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern nieder. 4 Es war kurz vor dem Passafest, dem großen Fest der Juden. 5 Jesus blickte auf und sah, dass die große Menschenmenge zu ihm kam. Da sagte er zu Philippus: „Wo können wir Brot kaufen, damit diese Leute zu essen haben?“ 6 Das sagte er aber, um Philippus auf die Probe zu stellen. Er selbst wusste längst, was er tun wollte. 7 Philippus antwortete: „Nicht einmal Brot für 200 Silberstücke reicht aus, dass jeder auch nur ein kleines Stück bekommt!“ 8 Da sagte einer seiner Jünger – Andreas, der Bruder von Simon Petrus: 9 „Hier ist ein kleines Kind. Es hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Aber was ist das schon für so viele Menschen?“ 10 Jesus sagte: „Sorgt dafür, dass die Menschen sich setzen.“ Der Ort war dicht mit Gras bewachsen. Dort ließen sie sich nieder, es waren etwa 5000 Männer. 11 Jesus nahm die Brote und dankte Gott. Dann verteilte er sie an die Leute, die dort saßen. Genauso machte er es mit den Fischen. Alle bekamen, so viel sie wollten. 12 Als sie satt waren, sagte Jesus zu seinen Jüngern: „Sammelt die Reste ein, damit nichts verdirbt.“ 13 Das taten sie und füllten zwölf Körbe mit den Resten von den fünf Gerstenbroten. So viel war nach dem Essen übriggeblieben. 14 Als die Leute sahen, was für ein Zeichen Jesus getan hatte, sagten sie: „Er ist wirklich der Prophet, der in die Welt kommen soll!“ 15 Da merkte Jesus, dass sie bald kommen würden, um ihn mit Gewalt zu ihrem König zu machen. Darum zog er sich wieder auf den Berg zurück – er ganz allein. (BasisBibel)

Liebe Leserin, lieber Leser! Am Sonntag wird landauf, landab über die Speisung der 5000 gepredigt werden. Schon wieder diese Geschichte, mag manche(r) denken. Denn tatsächlich kommt diese Jesus-Erzählung viermal im Neuen Testament vor und hat dazu noch eine Vorbild-Geschichte im Alten Testament (2. Könige 4, 42-44), wo der Prophet Elisa sich von Gott einspannen lässt, eine Menschenmenge wundersam zu speisen. Unsere Version der Erzählung steht im Johannesevangelium.

Das Teilen lernen

Häufig erleben wir, dass die Speisung der 5000 in moralischer Weise ausgelegt wird. Die Jünger sowie die mit Essen ausgestatteten Anwesenden geben bereitwillig, was sie an Proviant dabeihaben. Es ginge dann in dieser Geschichte um das „Teilen lernen“, und der Predigttext hätte in erster Linie ermahnenden Sinn.

Begegnung mit Gott

Damit aber wird die Stoßrichtung des Textes entschärft. Johannes wollte seinen Hörern und Leserinnen etwas anderes mit auf den Weg geben. Und daher möchte auch ich gegen die moralische Verflüchtigung den Literalsinn der Erzählung ernst nehmen, die von einer tief beeindruckenden Begegnung mit Gott spricht.

Ganz in diesem Sinne formuliert es der Neutestamentler Klaus Berger: „Die Speisungsberichte sind leibhaftig zu nehmen, denn sie verstehen sich als eine schockierende, überwältigende Begegnung mit Gott. Jedes moralische Hinbiegen (Was wird dann mit den zwölf Körben mit Resten?) oder legendarische Verflüchtigen (die Geschichte lehre „eigentlich“ nur, dass Jesus die Güte Gottes predige) verkürzt die Geschichte und verkleinert das Grundlegende.

Das Staunen bleibt

Wenn es um die Begegnung mit Gott geht, haben Ausleger nichts zurechtzulegen, um die Geschichte irgendwie zu erklären und für den Verstand fassbar zu machen. Wer diese Geschichten auf das Erträgliche hin verkleinert, treibt ihnen den Bezug auf Gott aus. In den Speisungsgeschichten begegnet uns der unfassbare große Gott. Es bleibt nur das Staunen.“ (Kommentar zum NT, 347).

So geht es mir in dieser Erzählung um die Begegnung mit dem Gott, der sich der Vermenschlichung, der Verniedlichung, dem vollständigen Verstehen entzieht; der aus seiner uns Menschen entzogenen Weisheit entscheidet und überwältigend an seinen Geschöpfen handelt.

Fürsorge für Geschöpfe

Ein Gott, der die Welt nicht sich selbst überlässt, doch dessen Handeln nicht schon von vornherein feststeht; der sich dennoch als Gott mit der mütter- und väterlichen Eigenschaft der Fürsorge für seine Geschöpfe offenbart und als solcher vertrauenswürdig ist.

Der Glaube an diesen unsichtbaren, aber doch erfahrbaren Gott schließt eine empfangende Haltung in sich, die zugleich demütig ist: Wann und wie Gott an uns und der Schöpfung wirkt, bleibt ihm überlassen. Aber er ist für uns da.