38 Betonpfähle in 38 Meter Tiefe. Auf ihnen wird der knapp 90 Meter hohe Turm der Garnisonkirche Potsdam gegründet. Nach anfänglichen technischen Schwierigkeiten während der Bohrung ist man nun mitten in den Arbeiten zum Wiederaufbau. Man sagt, der Turm soll einer der schönsten des norddeutschen Barock gewesen sein. In der Nacht vom 14. zum 15. April 1945 war es jedoch mit der Schönheit vorbei. Britische Bomber zerstörten die historische Mitte Potsdams und damit auch die Garnisonkirche. Tausende Menschen verloren ihr Leben.
Vor der Nacht von Potsdam: Auschwitz und Buchenwald
Das Wachhalten der Erinnerung an dieses schreckliche Ereignis gehört zur Gedenkkultur von Stadt und Kirchen. „Aber bevor es über Potsdam Nacht wurde, war es Nacht über anderen europäischen Städten, über Auschwitz oder Buchenwald“, sagt während eines nachdenklichen Gesprächs die 91-jährige Regina Reichwald, die den Feuersturm in jener Nacht im April 1945 erlebte.
Sie war damals zu Besuch bei ihren Pflegeltern in der Brauerstraße. „Das furchtbare Schreien der Menschen, die im Flammenmeer umkamen, kann ich nicht vergessen“, berichtet sie auf dem Weg vom Gottesdienst in der Nagelkreuzkapelle zum Gedenkkonzert in der St. Nikolaikirche. Die Kapelle befindet sich an dem Ort der einstigen Garnisonkirche. Aus ihrem jetzigen Wohnort Rostock reist Regina Reichwald fast in jedem Jahr zum Gedenktag der Bombardierung nach Potsdam.
Eine kleine Gruppe Menschen versammelt sich an der St. Nikolaikirche auf dem Alten Markt. Eine Frau will Regina Reichwald in ein Gespräch verwickeln: „Wir sind vom kürzlich gegründeten ‚Komitee für preußische Leichtigkeit‘. Sie sind eingeladen, an unserer Versöhnungsfeier teilzunehmen.“ Misstrauisch vernimmt die alte Dame die Einladung. Doch das Komitee-Mitglied erzählt weiter: „Wir feiern hier ein großes Fest der politischen Beliebigkeit, inspiriert vom Garnisonkirchen-Versöhnungsallerlei. Wir bieten allen Menschen, die gutwillig und lebensfroh sind, die Chance an, sich mit irgendwem und irgendwas zu versöhnen.“
Regina Reichwald hört zu, doch sie geht, ohne ein Wort zu sagen, weiter. Sie weiß, der „Versöhnungs“-Aufzug gehört zur Gruppe der Gegner des Wiederaufbaus der Garnisonkirche. Für Kopfschütteln sorgen deren Parolen: Altbischof Wolfgang Huber, Vorsitzender der Stiftung Garnisonkirche, wird mit Hitler und dem früheren DDR-Staatsratschef Walter Ulbricht in einen Topf geworfen.
Die durchaus umstrittene Garnisonkirche gehört dennoch zur wichtigen Erinnerungslandschaft Potsdams. Seinen geschichtlichen Ballast, den „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933, wird das Gotteshaus wohl mit sich herumtragen müssen. Reichspräsident Paul von Hindenburg reichte anlässlich der Reichstagseröffnung dem neuen Kanzler Hitler im Gotteshaus die Hand. Diese Begegnung und das braune Brimborium rundherum rufen vor allem die Garnisonkirchen-Gegner auf den Plan, um den Wiederaufbau zu verhindern. Verschiedene Initiativen, auch evangelischer Christen, wenden sich gegen das Großprojekt. Ihre Aktionen sind satirisch bis beleidigend, verbunden auch mit empfindlichen Störungen bei einer gottesdienstlichen Veranstaltung anlässlich des Baubeginns Ende Oktober 2017.
Die Garnisonkirche wurde von 1730 bis 1735 von dem Architekten Philipp Gerlach im Auftrag von Friedrich Wilhelm I., dem Soldatenkönig, erbaut. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg hätte ein Wiederaufbau in den 1960/70er Jahren durchaus stattfinden, die Überreste stabilisiert und die Kirche neu aufgebaut werden können. SED-Chef Walter Ulbricht ließ jedoch die Ruine im Juni 1968 sprengen. Die Kirche würde nicht in das Bild des zukünftigen sozialistischen Potsdam passen. Im Turm befand sich die Heilig-Kreuz-Kapelle. Darin wurden bis kurz vor dem endgültigen Ausradieren der Kirche noch Gottesdienste gefeiert. Zum 50. Jahrestag der Sprengung wird zu einem Erzählpodium unter dem Motto „Mein Potsdam“ am 20. Juni in die Nagelkreuzkapelle eingeladen. „Dabei wollen Menschen erzählen, wie sie die Sprengung erlebt haben, auch den letzten Gottesdienst in der Heilig-Kreuz-Kapelle Anfang Mai 1968, und an den Kampf der Heilig-Kreuz-Gemeinde um ihre Kirche erinnern“, sagt Cornelia Radeke-Engst, heute Pfarrerin der Nagelkreuzgemeinde.
Am 27. Juni wird im nahe gelegenen Filmmuseum der Dokumentarfilm „Die Garnisonkirche – Protokoll einer Zerstörung“ gezeigt, den der Regisseur Kurt Tetzlaff 1991 drehte. Anschließend ist ein Podiumsgespräch vorgesehen. Im Mittelpunkt der Diskussion stehen die Sprengung der Kirche zur Zeit des Prager Frühlings im Zusammenhang mit weiteren Kirchensprengungen in der DDR, die Situation der evangelischen Kirchen in der DDR 1968. „Aber auch von der damaligen Gewissheit, dass die Garnisonkirche eines Tages wieder aufgebaut werden kann, sprechen die Zeitzeugen“, sagt die Pfarrerin.