Rund 1.400 Kilometer fuhr Josef Onderka von Prag nach Kiew: Sein Neffe hatte ihm so vom Essen der ukrainischen Fast-Food-Restaurants „Lviv Croissants“ vorgeschwärmt, dass er einfach hin musste, wie er sagt: „Als ich dann zum ersten Mal in das Croissant hineingebissen habe“, sagt Onderka, „wusste ich gleich: Das ist die erste Fast-Food-Kette aus Osteuropa, die das Zeug dazu hat, sich weltweit durchzusetzen.“ Seine begeisterte Beschreibung ist womöglich nicht ganz neutral, sie ist auch Werbung in eigener Sache: In Prag hat Onderka jetzt gemeinsam mit seinem Neffen die erste tschechische Filiale eröffnet und hofft auf einen Siegeszug des ukrainischen Konzepts – auf eine unternehmerische Erfolgsgeschichte, die zugleich eine Geschichte von Flucht aus Kiew ist.
Von der Ukraine nach Tschechien
Im Prager Einkaufszentrum sitzt der Neffe neben ihm, es ist der Ukrainer Eduard Shestunov. Über beiden leuchtet in Neonschrift das Logo ihres Restaurants. „Ich habe mit meiner Frau früher zwei Filialen in Kiew betrieben“, erzählt Shestunov, „aber jetzt konzentriere ich mich ganz auf den tschechischen Markt.“ Dass sich Onkel und Neffe für dieses Unterfangen zusammengetan haben, lag auf der Hand: Josef Onderka ist erfolgreicher Gastronom in Prag, er betreibt unter anderem das legendäre Café Slavia direkt an der Moldau.
„In der Ukraine kennt jeder die Kette Lviv-Croissants“, erzählt Eduard Shestunov, „sie hat mehr als 170 Filialen im ganzen Land.“ Kulinarisch ist das Prinzip einfach: Die Grundlage bilden übergroße Croissants, die aufgeschnitten und herzhaft gefüllt werden, mit Fisch, Schinken oder Ei.
Betrieben werden die Filialen im Franchise-Prinzip, bei dem jede Filiale einem eigenständigen Unternehmer gehört, der gewissermaßen eine Lizenz auf das Konzept bekommt – im Fast-Food-Segment ist das eine gängige Praxis, auch große US-Ketten gehen so vor. Gegründet wurde „Lviv Croissants“ 2015, die Expansion ins Ausland, darunter auch nach Polen, begann nach Firmenangaben 2022.
Und jetzt hat Shestunov die Lizenz für Tschechien. Für ihn ist das mehr als ein Geschäftsmodell: Er sieht es als Chance, mit seiner Familie in der neuen Heimat auf eigenen Füßen stehen zu können. Tschechien zählt zu den Ländern, die – gemessen an der Bevölkerung – am meisten ukrainische Flüchtlinge aufgenommen haben. Rund 325.000 gibt es im Land. Die meisten von ihnen sind inzwischen in Arbeit.
„Lviv-Croissants“-Filiale ist “Heimweh-Ort”
Die erste „Lviv-Croissants“-Filiale in Tschechien, gelegen mitten in Prag, erfüllt deshalb eine doppelte Rolle: Zum einen ist sie so etwas wie ein „Heimweh-Ort“. Sie erinnere die Ukrainer an ihre Heimat, und ein bisschen erfülle es sie auch mit Stolz, dass eine ukrainische Kette mitten im Krieg auch im Ausland erfolgreich sei, glaubt Shestunov. Und zum anderen ist die Firma ein gefragter Arbeitgeber: Viele der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind geflüchtete Ukrainer.
In Tschechien setzt das Unternehmen auf einen wachsenden Markt: Während in der gesamten Gastronomie die Umsätze stagnierten, legten sie bei den Schnellrestaurants im vergangenen Jahr um 17 Prozent zu. „Das hat natürlich mit der Inflation zu tun und damit, dass Restaurant-Besuche teurer geworden sind“, sagt Branchenexperte Lubos Kastner vom tschechischen Unternehmerverband AMSP. Aber: „Diese Gerichte haben auch eine größere Instagram-Tauglichkeit, die spielt inzwischen eine große Rolle. Man geht dorthin und ist Teil eines bestimmten Lifestyles.“
Croissants werden in der Ukraine produziert
Die Zutaten für das Essen bei „Lviv-Croissants“ kommen überwiegend aus Tschechien – bis auf die entscheidende Ingredienz: „Wir verwenden gefrorenen Teig, um die Croissants hier fertig zu backen“, erläutert Eduard Shestunov. „Dieser Teig kommt aus der Ukraine. Die Bäckerei hat ihren Sitz in Lemberg, also weit weg von der Front – es ist deshalb nicht zu riskant, dort zu produzieren.“ Lemberg ist die deutsche Bezeichnung für Lviv.
In der Ukraine, so erzählt es Eduard Shestunov, seien die Filialen der Fast-Food-Kette besser besucht als vor dem Krieg: „Man hat da einen Generator für Strom, es ist warm, man trifft Leute.“ Ein Gefühl von Normalität mitten im Krieg.