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BruderhausDiakonie bittet Zwangseingewiesene um Vergebung

Die BruderhausDiakonie bittet Menschen um Verzeihung, die in ihren Einrichtungen Zwangsarbeit leisten mussten. „Was geschehen ist, bedauern wir sehr“, sagte der Theologische Vorstand des Sozialunternehmens, Bernhard Mutschler, am Freitag in Münsingen-Buttenhausen bei Reutlingen. Anlass war die Veröffentlichung einer Studie, die die Zwangseinweisung von Menschen in der diakonischen Einrichtung zwischen 1934 und 1959 unter die Lupe genommen hat.

Der Autor der Studie, Sebastian Wenger vom Institut für Geschichte der Medizin des Bosch Health Campus, stellte bei der Veranstaltung zentrale Inhalte seiner Arbeit vor. Demnach versuchte der NS-Staat Menschen, die als asozial, arbeitsscheu oder verwahrlost eingestuft wurden, durch Zwangseinweisungen in geschlossene Einrichtungen aus der Gesellschaft zu entfernen und durch eine Arbeitspflicht zu resozialisieren. Das System setzte sich Wengers Ausführungen zufolge nach Ende der NS-Zeit fort und wurde erst durch ein Bundesverfassungsgerichtsurteil 1967 beendet.

Das Arbeitslager in Buttenhausen war ursprünglich für rund 100 Menschen konzipiert, nahm aber im Zweiten Weltkrieg zu Spitzenzeiten bis zu 300 Männer und Frauen auf. Betrieben wurde es von der Reutlinger Gustav Werner Stiftung, die später in der BruderhausDiakonie aufging. Zwangseingewiesen wurden Bettler, Wohnungslose, Alkoholiker, verwahrloste Jugendliche, Prostituierte und Frauen mit abweichendem Sexualverhalten, berichtete Wenger. Die Betroffenen stammten vor allem aus Stuttgart und Frankfurt am Main.

Bewaffnete Männer hätten mit Wachhunden dafür gesorgt, dass niemand die Einrichtung verlässt. Es habe sich um eine „Vorstufe der Konzentrationslager“ gehandelt, zitierte der Autor einen anderen Historiker. Bis 1945 sind Schätzungen zufolge rund 1.600 Menschen in Buttenhausen untergebracht gewesen.

Andererseits sei es den Bewohnern des Lagers vergleichsweise gut gegangen. Sie hätten aufgrund der angeschlossenen Landwirtschaft selbst in Kriegszeiten ausreichend zu essen gehabt und seien medizinisch versorgt worden. Paul Stäbler, der Leiter der Einrichtung, habe sich zum System der Zwangseinweisungen bekannt, sei aber nie Mitglied einer nationalsozialistischen Organisation gewesen. Auch hat er laut Wenger die ihm anvertrauten Bewohner vor der Ermordung im zehn Kilometer entfernten Grafeneck geschützt, wo die Nationalsozialisten mit ihren „Euthanasie“-Morden begannen.

Im Anschluss an die Buchpräsentation wurde am Freitag in Buttenhausen bei einer Andacht eine Gedenktafel enthüllt, die an das Schicksal der Zwangseingewiesenen in der diakonischen Einrichtung erinnert. (—-/27.09.2024)