In der ARD-Serie “Video Nasty” sammeln drei irische Teenager verbotene Horrorstreifen und geraten bei der Suche danach selbst in einen. Das ist nicht nur unterhaltsam, sondern auch authentisch.
Verbote sind oft gut gemeint. Spätestens seit dem Sündenfall im Paradies allerdings ist bekannt, dass sie mitunter das Gegenteil bewirken. In Irland etwa hielt es die BBFC – vergleichbar der deutschen Bundeszentrale für Jugendmedienschutz – vor 41 Jahren für pädagogisch geboten, Horrorfilme zu verbieten. Insgesamt 72 besonders bestialische Streifen landeten seinerzeit auf einem Index, im Volksmund “Video Nasties” genannt. Und Titel wie “Cannibal Holocaust” oder “The Evil Dead” haben auch durchaus angedeutet, dass die Täter darin eher Blutbäder als Häkelkurse veranstalten.
Zu dumm nur, dass Verbote nicht immer abschreckend, sondern oft sogar im Gegenteil anziehend wirken. Trotz Strafverfolgung wurden die fiesen Videos daher auch in Dublin heiß gehandelt. Billy und Con zum Beispiel fehlt noch ein einziger Film, um ihre Sammlung zu komplettieren. Weil das Gesetz von Angebot und Nachfrage auch für Schwarzmärkte gilt, haben die zwei Teenager den Topf des anstehenden Abschlussballs ihrer Schule geplündert. Um ihn wieder zu füllen, müssen sie das Gesamtpaket nach Ansicht aller Werke deshalb gleich wieder weiterverkaufen.
Als ihnen eine Händlerin aus England das noch fehlende Gemetzel anbietet, machen sich die minderjährigen Nerds also trotz und wegen der staatlichen Verknappung auf eine Odyssee. Doch bereits in der zweiten von sechs Folgen der BBC-Serie “Video Nasty” führt sie schnurstracks Richtung Katastrophe. Gut gemeint ist eben mitunter das Gegenteil von gut. Was aber nicht fürs neue Werk der Film-Initiative “FabFiction” gilt, mit der die ARD ihr Mediatheken-Angebot seit 2022 internationaler, jünger und relevanter machen will.
Nach Koproduktionen wie “Eden”, “Parlament” oder “Helsinki Syndrom”, gelingt der europäischen Fernsehpartnerschaft hier nun eine sehenswerte Gratwanderung. Denn der nostalgische Coming-of-Age-Stoff um ein Gespann Außenseiter, das vom Regen ständigen Mobbings in die Traufe bizarrer Mordfälle gerät, ist dank einer großen Portion schwarzen Humors im Horrorambiente höchst unterhaltsam. Ein Roadtrip zum Gruseln, der nebenbei aktuelle und frühere Moraldebatten persifliert.
Wenn Con mit Kumpel Billy und seiner älteren Schwester Zoe auf der Jagd nach dem fiktiven in einen echten Gruselschocker geraten, geht es also einerseits um jugendliche Renitenz und erwachsene Konsequenzen. Andererseits balanciert das Trio am Abhang wechselnder Sittlichkeitsvorstellungen. Während die Großeltern der Hauptfiguren ihre Kinder einst vermutlich vor dem schädlichen Einfluss teuflischer Mächte wie Rock’n’Roll oder Comics gewarnt haben, würden Billy, Con und Zoe dem eigenen Nachwuchs heute womöglich von Ballerspielen oder Social Media abraten.
Und zwischendurch? Haben angeblich halt Splatter-Filme die Jugend verdorben. “Das ist ja die Videothek des Teufels”, empört sich Cons Vater bei der Suche nach seinem Sohn. Er nehme “das mal als Kompliment”, antwortet dessen Lieblingsverleiher da ironisch. “Sie sind krank, ernsthaft krank”, setzt Cons Mutter einen drauf. “Noch mehr Schmeicheleien”, erwidert der Beschimpfte und legt damit zweierlei offen: Die Vielfalt ethischer Grundsätze. Und das gute Niveau des Drehbuchs.
Es stellt den Regisseuren eine Story zur Verfügung, die sie mit viel Leben der generationsübergreifend anschlussfähigen Achtziger füllen. Angefangen mit dem seltsamen Dreiklang VHS – für Boomer unverkennbar die Abkürzung des damals gängigen “Video Home System”. Wann immer die klobigen Kassetten in noch sperrigere Abspielgeräte geschoben werden, macht es das Format nicht nur ungeheuer fesselnd, sondern ausgesprochen glaubhaft ausgestattet – mit Kulissen und Kleidung, Dialogen und Geschichte.
Das übergriffige Patriarchat jener Jahre wird schließlich ebenso thematisiert wie Margaret Thatchers marktliberaler Rechtsruck oder der begleitende IRA-Terror in Großbritannien. Wenngleich ohne erhobenen Zeigefinger und bevormundende Didaktik. Wäre er (inklusive Untertitel “Horror ist Kult”) nicht so lausig synchronisiert – der Sechsteiler könnte ein reiner Hochgenuss sein. Doch selbst schlecht übersetzt reiht sich “Video Nasty” spielend in authentische Reanimationen wie “Dark” oder “Stranger Things” ein. Und in der Mediathek hält die ARD auch die Option bereit, das Ganze im englischen Orginal mit Untertiteln zu gucken.