Sechs Monate fiel im Sommer 2018 in weiten Landesteilen kaum ein Tropfen Regen. Der Deutsche Wetterdienst verzeichnete zwischen April und August die wärmsten und regenärmsten Monate seit Beginn der Aufzeichnungen 1881. Und Experten- Prognosen lassen für dieses Jahr erneut einen Sommer mit Extremtemperaturen erwarten.
Rekordhitze und extreme Trockenheit sorgten für ideale Lebensbedingungen für den Borkenkäfer. Der Wald hat dadurch schweren Schaden genommen; um eine weitere Ausbreitung zu verhindern, werden nun im großen Stil Kiefern gefällt. Manch einer wird im Frühling „seinen“ Wald kaum wiedererkennen.
Der Deutsche Forstverein spricht vom „Katastrophenjahr 2018“ mit Stürmen, Trockenheit und Käferplage. In seiner Publikation „proWALD“ versucht er eine Bestandsaufnahme. Kein leichtes Unterfangen, schließlich gehört „der“ deutsche Wald nicht nur Kommunen, dem Staat, den Ländern oder Kirchen, sondern zu 48 Prozent Privatpersonen. Das Bundeslandwirtschaftsministerium habe nun ein „kontinuierliches Monitoringsystem“ angekündigt. Die dabei gewonnenen Daten sollen „perspektivisch als Grundlage für ein zentrales Krisenmanagement“ dienen.
„Ein einheitliches System, auf dessen Basis die Schäden im Wald erfasst werden, ist unbedingt erforderlich“, sagt auch Marcus Kühling, Abteilungsleiter im neu gegründe-ten Kompetenz- und Informationszentrum Wald und Holz (KIWUH) in Gülzow-Prüzen. Es hat im Januar im Auftrag der Bundesregierung seine Arbeit aufgenommen. Die Erfassung der geschädigten Baumbestände ist eine aktuelle Herausforderung. Geplant ist eine satellitenbasierte Fernerkundung des Waldes; an „Hotspots“ werde auch an den Einsatz von Drohnen gedacht. Bei 11,2 Millionen Hektar Wald in Deutschland sei das aber nicht flächendeckend möglich, so der Forstwissenschaftler.
Der Fichtenanteil muss reduziert werden
Kühling spricht von „signifikanten“ Schäden, deren ganzes Ausmaß sich aber wohl erst in einigen Jahren zeigen werde, „das Ökosystem Wald reagiert nicht sofort“. Dabei habe das Problem schon 2017 mit einem sehr nassen Sommer und Herbst begonnen; „die Waldböden waren unglaublich aufgeweicht“. Weil die Wurzeln keinen festen Stand mehr hatten, kippten dann Anfang Januar 2018 viele Bäume bei Winterstürmen um. „Die ohnehin gestressten Bäume wurden durch den Dürresommer weiter geschwächt – und dann kam der Borkenkäfer und setzte sich an den gedeckten Tisch…“
Bislang besteht der deutsche Wald zu 57 Prozent aus Nadelbäumen, darunter überproportional vielen Fichten. Förster und Buchautor Peter Wohlleben gibt zu bedenken, dass diese Nadelbäume eigentlich in Gebirgslagen gehören. „Ihnen ist es bei uns immer schon zu warm und zu trocken gewesen; Nadelbäume passen hier einfach nicht hin.“ Gerade Fichten werden leichte Beute für den Borkenkäfer. Deshalb sind sich alle Experten einig, dass der Fichtenanteil reduziert werden muss hin zu mehr Misch- oder reinen Laubwäldern.
Viele der heutigen Fichtenwälder sind Nachkriegsaufforstungen, weiß Kühling. „Der enorme Energiebedarf der Kriegsindustrie, die Kriegsereignisse und deren Folgen führten zu großflächigen Waldzerstörungen“, erklärt er. Nach Kriegsende wurde deutschen Wäldern das Holz für Reparationsleistungen an die Alliierten entnommen; Holz war Rohstoff für den Wiederaufbau und wurde zum Heizen benötigt. „Kahlschlag war die Folge, Bodenerosion und Verlust der Bodenfruchtbarkeit drohten. Die Wiederaufforstung mit schnell wachsenden Holzarten wie Fichten und Kiefern war aus wirtschaftlichen und aus Gründen der Landschaftserhaltung unumgänglich“, so Kühling. Neben Trümmerfrauen in Städten habe es in ländlichen Regionen auch „Pflanzfrauen“ gegeben, „sie haben buchstäblich ihren Wald wieder gepflanzt“. Daran erinnere auch das Motiv auf dem früheren 50-Pfennig-Stück; es zeigt ein kniendes Mädchen, das eine Eiche setzt.
Kein Wunder also, dass viele Menschen einen emotionalen Bezug zum Wald haben. Dabei unterliegt dieser und der einzelne Baum einem natürlichen Zyklus. „Das Gefühl ist: Der Wald war schon immer da.“ Irgendwann stirbt aber jeder Baum ab, „den Lebenszyklus eines einzelnen Baumes bekommt allerdings kaum jemand in seiner Lebenszeit mit“. Angst bekämen die Leute, wenn wie 2007 nach Sturm Kyrill statt wunderschönem Wald nur noch Kahlflächen zu sehen sind. Bis dort wieder so ein Wald steht, können 50 bis 100 Jahre vergehen.
„Mancher fragt uns: ,Warum tut ihr nichts?‘“, sagt Kühling. Die Forstwirtschaft in Deutschland sei aber keineswegs untätig. Allerdings sei Forst ein langwieriges Geschäft. „Ein Wald ist eben kein Acker, auf dem man innerhalb eines Jahres säen und ernten kann.“ Forstleute seien schon seit 30 Jahren dabei, den Wald durch das Setzen von mehr Laubbäumen besser für den Klimawandel zu wappnen. Aber das Vorhaben „geordneter Waldumbau“ hin zu einem stärkeren Mischwald erleidet auch Rückschläge. „Ein großer Teil unserer Anpflanzungen aus dem Jahr 2018 ist abgestorben, weil die Setzlinge in den Dürremonaten vertrocknet sind.“
Dennoch ist Kühling überzeugt, dass Deutschland nicht „waldfrei“ werden wird. Auch das Dürrejahr 2003 habe der Wald überstanden; „die Bäume, die das überlebt ha-ben, sind besser gewachsen denn je“. Mehrere Dürrejahre in Folge könnten allerdings ein Problem werden. Entscheidend sei, wann größere Regenmengen kommen. „Wenn Petrus den Wasserhahn im März zumacht und erst wieder im November auf-dreht, dann haben wir verloren.“ Auf solche Extremereignisse sei kein Wald eingestellt.
Pflanzung klimatoleranter Bäume wird unterstützt
Ohne Wald aber würden Menschen nicht nur einen wichtigen Rohstofflieferanten und Erholungsraum verlieren. Denn er sichert auch das Überleben. Wald- und Klima-schutz hängen zusammen, wie Kühling betont. „Der Wald ist nicht nur Opfer des Klimawandels, sondern hilft, dessen Auswirkungen zu mildern.“ Bäume bilden durch die Photosynthese Holz. Und Holz besteht zu 50 Prozent aus Kohlenstoff, den jeder Baum während seines Wachstums in Form von Kohlendioxid aus der Luft entnimmt, wobei er Sauerstoff freisetzt. Der Kohlenstoff bleibt während der gesamten Lebensdauer im Baum – und während der gesamten Nutzungsdauer auch im verarbeiteten Holz – gespeichert. Somit binden Wälder das Treibhausgas CO2. Derzeit sind laut KIWUH in Deutschland rund 1,16 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in lebenden Bäumen und in Totholz gebunden.
Derzeit stellt das Bundeslandwirtschaftsministerium rund 50 Millionen Euro für forstliche Präventionsmaßnahmen in Bund und Ländern bereit. Damit soll die zeitnahe Pflanzung von klimatoleranten, möglichst heimischen Baumarten unterstützt werden, etwa Buche, heimische Weißtanne oder Douglasie. Damit könne der Mensch seinen Teil dazu beitragen, „den Wald als Ökosystem zu erhalten“, sagt Kühling.